seine Grenze in eine neue rechtliche Dimension. Die Grenze umriß nicht lediglich
einen Schutzbereich territorialer und personaler Art, sondern sie markierte die
Ausdehnung eines besonderen, nämlich souveränen, Hoheitsbereichs, der einen
spezifischen Schutz genoß. Dabei wandelten sich die Souveränitätsverständnisse
im Laufe der Zeit und an die Stelle der Unabgeleitetheit der höchsten Herrschafts¬
gewalt des Regenten - mit Ausnahme der obersten Bindung an Gott - trat zuletzt
die heute unbestrittene Ableitung der Souveränität ausschließlich aus dem gelten¬
den Völkerrecht19. Trotz aller Veränderungen kennzeichnet die Staatsgrenze im¬
mer auch Grenzen staatlicher Souveränität als Inbegriff aller aus der Souveränität
resultierenden Hoheitsrechte.
VL
Dieser Umstand hat erhebliche Auswirkungen, doch bleiben wir zunächst bei dem
Verlauf der Grenze entlang der sogenannten "natürlichen" Abgrenzungen, wie an
Gebirgen, Flüssen und am Meer. Diese Grenzen galten lange Zeit als besonders
vorteilhaft, weil sie den größten militärischen Schutz verkörperten. Aber auch für
sie gilt, daß sie rechtlich keineswegs aus der "Natur der Sache" vorgegeben waren.
Es bedurfte stets auch der ausdrücklichen Bestimmung, daß die "natürliche" Gren¬
ze zugleich die Staatsgrenze bilden sollte. Zudem mußte der Hinweis etwa nur auf
einen Gebirgszug letztlich ungenau bleiben. Im Pyrenäenfrieden von 1659 wurden
zwar ausdrücklich die "Berge der Pyrenäen" ("les monts Pyrénées") als
"natürliche" Grenze zwischen Frankreich und Spanien bestimmt, doch erst im
Vertrag vom 14. Juli 1795 wurde diese Aussage präzisiert: Die Grenze sollte auf
dem Kamm der Berge verlaufen, die die Wasserscheide zwischen Frankreich und
Spanien bilden20.
Der Hinweis auf die "Natur" bedürfte nicht nur hier einer Präzisierung. Viel um¬
strittener kann der Verlauf der Staatsgrenze sein, wenn sie sich auf einen Fluß be¬
zieht. Maßgeblich sind hier i. e. L. historische vertragliche Absprachen, etwa über
die Flußnutzung durch die Schiffahrt oder den Fischfang bzw. die Förderung von
Bodenschätzen. Vertragliche Sondergestaltungen, z. B. in Friedensverträgen, be¬
stimmen das Bild. Fehlt es an Verträgen oder eindeutig unbestrittenen faktischen
Nutzungen, so kommt es auf die Art des Flusses selbst an. Ist der betreffende Fluß
schiffbar, so bildet der sogenannte Talweg, die Mitte der Schiffahrtsrinne, im
Flußbett die Staatsgrenze; ist der Fluß nicht schiffbar, so bildet die Mittellinie
zwischen beiden Ufern die Grenze21. Deutlich wird gerade hier, daß nicht
lediglich (z. T. alte) Wirtschaftsinteressen eine Rolle spielen, sondern andere
Auswirkungen des Souveränitätsprinzips: Es geht i. w. um die Ausdehnung der
Hoheitsgewalt im räumlichen Sinne, um die Möglichkeit des hoheitlichen Zugriffs
innerhalb des eigenen Staatsgebietes, z. B. bei der Verfolgung politischer
Flüchtlinge.
19 Vgl. Dahm/Delbrück/WoUhim, a.a. O., S. 215; Verdross/Simma, a.a.O., § 35.
20 Vgl. Grewe, a.a.O., S. 377,379.
21 Vgl. Ipsen, a.a.O„ S. 279 ff.
29