das Emennungsrecht der Bürgermeister weiterhin bei der Regierung liegen. Bei
der parlamentarischen Debatte unterstützten zwar einzelne Abgeordnete grund¬
sätzlich diese Gesetzesinitiative43, aber die Mehrheit forderte weitergehende Zu¬
geständnisse und vor allem das Emennungsrecht der Bürgermeister durch die Ge¬
meinderäte. So wurde trotz der Ablehnung des vorliegenden Entwurfs die Regie¬
rung aufgefordert, in der nächsten Session einen verbesserten Text vorzulegen,
damit "der Landesausschuß und die ganze Bevölkerung den Sonnenaufgang der
Gemeindefreiheit in Elsaß-Lothringen mit Begeisterung begrüßen"44 könnten.
Der im Frühjahr 1894 ausgearbeitete Entwurf der Regierung berücksichtigte zwar
einige der Änderungswünsche des Landesausschusses, aber weiterhin wollte die
Regierung nicht auf das Emennungsrecht der Bürgermeister verzichten45. Erst im
Verlauf der weiteren Beratungen gestand sie in dieser Frage den Gemeinden eine
erweiterte Mitwirkung zu: In den Städten von mehr als 25000 Einwohnern sollten
die Bürgermeister auf Grund eines Vorschlags des Gemeinderats durch kaiserliche
Verordnung ernannt werden, in den übrigen Gemeinden durch den Bezirkspräsi¬
denten aus dem Kreis der Mitglieder des Gemeinderats. Dabei wurde den Stadt¬
gemeinden ein zweifaches Vorschlagsrecht eingeräumt. Das Gesetz über die Be¬
stellung von Berufsbürgermeistem sollte abgeschafft werden.
Damit war ein tragfahiger Kompromiß gefunden, der die Weiterführung der Bera¬
tungen in einer bisher ungewohnt vertrauensvollen Atmosphäre sicherte. Obwohl
die oppositionelle Presse den gefundenen Interessenausgleich energisch be¬
kämpfte46, wurde er schließlich nach intensiver Beratung mit großer Mehrheit an¬
genommen47.
Die Gemeindeordnung vom 6. Juni 1895 bildete eine Synthese aus der bestehenden
Kommunalverfassung französischer Herkunft und Prinzipien der kommunalen
Selbstverwaltung, wie sie vor allem in einigen Teilen Preußens bereits Eingang in
die Verwaltungsorganisation gefunden hatten. Weiterhin galt die der französi¬
schen Tradition entsprechende funktionale Trennung zwischen dem beratenden
43 So Abg. Back, VerhLA, Sitzung v. 16. Febr. 1892, S. 43: "Indem er (sc. Gesetzentwurf, der Verf.) die
Genehmigung der Gemeinderatsbeschlüsse seitens der Aufsichtsbehörde, welche heute die Regel bildet,
zur Ausnahme macht, indem er die Befugnisse der Regierung, bei der Ernennung der Gemeindebeamten
mitzuwirken, teils beseitigt, teils erheblich beschränkt, indem er das selbständige Steuerbewilligungs¬
recht der Gemeinde in gewissen Grenzen anerkennt, indem er namentlich den größeren Gemeinden eine
freiere Gestaltung des ganzen Gemeindelebens ermöglicht [...], hat er in der Tat Bestimmungen geschaf¬
fen, bei denen von einer Bevormundung der Gemeinde in irgend wie bedrückender Weise nicht mehr die
Rede sein kann."
44 VerhLA, Sitzung am 28. April 1892, S. 537, Abg. Dr. Gunzert.
45 VerhLA, 1894, 1. Bd., Vorlage Nr. 5, Entwurf einer Gemeindeordnung v. 3. Febr. 1894.
46 Vgl. Seydler, Fürst Chlodwig zu Hohenlohe Schillingsßlrst, S. 154f. Vgl. auch Straßburger Bürger-
Zeitung v. 4. Mai 1894: "Der Entwurf ist ein Danaergeschenk schlimmster Sorte. Unter den zahlreichen
bunten Marschall-Niel-Rosen seiner verwaltungsrechtlichen Fortschritte und Zugeständnisse schlum¬
mern die scharfzahnigen Domen einer durch und durch reaktionären Politik."
47 VerhLA, Sitzung am 30. Mai 1894, S. 775. Nur vier Abgeordnete lehnten den Entwurf ab.
255