Während in Straßburg die Frontstellung der einheimischen Bevölkerung ge¬
genüber den "Altdeutschen" nach einigen Jahren weitgehend abgebaut werden
konnte, wurde in Metz das Verhältnis zwischen den beiden großen Gruppen der
Einwohnerschaft lange Zeit durch Rivalität und Mißtrauen geprägt18. Die hier
immer wieder aufbrechenden Konflikte und Interessengegensätze waren auch ein
retardierendes Element der Stadtentwicklung, das erst durch die radikale politische
Zäsur von 1918 beseitigt werden konnte.
Kontinuitäten und Bruche nach 1918
In den ersten drei Jahren nach dem Waffenstillstand verließen etwa 20000 Ein¬
wohner die Stadt Metz19, wobei vor allem die altdeutsche Führungsschicht in
Verwaltung und Wirtschaft von den Ausweisungen betroffen war20. Metz befand
sich nun wieder in einer Binnenlage und hatte eine frankophone Bevölkerungs¬
mehrheit. Wie vor 1871 bildete es das Verwaltungszentrum des Moselle-Departe-
ments, und auch seine traditionelle militärische Funktion als Garnisons- und Fe¬
stungsstadt blieb erhalten. Die in den vorangegangenen fünfzig Jahren erfolgten
Weichenstellungen für die Stadtentwicklung wurden jedoch korrigiert. Auch nach
1918 gab es keine größeren Industrieansiedlungen. Wachstumsimpulse gab es eher
durch die Niederlassung von Dienstleistungsunternehmen sowie den Ausbau des
Eisenbahnnetzes. Die Bevölkerung wuchs nun kontinuierlich, aber zahlreiche
Einwanderer aus dem übrigen Frankreich verließen die Stadt schon wenige Jahre
nach ihrer Ansiedlung.
Zwar war Metz nun aus der Abhängigkeit von Straßburg entlassen, dennoch mußte
sich die Stadt erneut einen Standort im politischen und ökonomischen Machtge¬
füge Frankreichs erkämpfen21. Vor allem Nancy hatte von der Abtrennung Elsaß-
Lothringens profitiert und war keineswegs bereit, seine dominierende Stellung im
Gefüge der lothringischen Städte aufzugeben22. So finanzierten größere Kaufhäu¬
ser in Metz in privater Regie ein Busverkehrsnetz, um die Käuferströme aus der
Umgebung wieder nach Metz zu leiten23. Ein wichtiges Ziel war vor allem die
18 Roth, La Lorraine annexée, S. 422-428.
^9 Roth, Metz et Nancy, S. 188.
20 Vgl. Le Moigne (Hrsg.), Histoire de Metz, S. 375: "En l’espace de quelques années s'opère un prodigieux
bouleversement de la propriété bâtie et des fortunes. La nouvelle bourgeoisie qui avait été le moteur de la
croissance urbaine, disparaît presque totalement."
21 1928 faßte Grosdidier de Matons, Metz, S. 14, die Benachteiligung von Metz in der Reichslandzeit voller
Erbitterung zusammen: "Elle n’a plus été qu'une préfecture quelconque rattachée pour tout à Strasbourg,
plus isolée à cause de sa langue française, doublement prisonnière du Reich et du Reichsland, piétinée
par les troupes allemandes. Elle a été selon le mot de son historien Auguste Prost qui ne la voulut pas
voir prisonnière, 'la rançon de la France'. Ses dépouilles ont été partagées entre Nancy et l'Alsace: Nancy
a recueilli la Cour d'Appel et les meilleurs de ses fils, l'Alsace s'est enrichie à Colmar et à Strasbourg des
organismes et des palais d'une administration plus vaste et plus étendue."
22 Zur Rivalität beider Städte s. Barrai, L'Esprit lorrain, S. 153ff. sowie Roth, La Lorraine annexée, S.
681-683.
23 Grosdidier de Matons,Metz, S. 15.
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