Überlegungen zur künftigen Universitätsstruktur. So seien die Regierungen des
Saarlandes, der Bundesrepublik und Frankreich als eigentliche Universitätsträger
ebenso vorgesehen wie die Möglichkeit zur Stiftung von Lehrstühlen, Arbeitsplät¬
zen, Instituten (z.B. ein europäisches Silikose-Forschungsinstitut). In Abkehr vom
bisherigen hierarchisch-zentralistischen System beabsichtige man außerdem eine
Selbstverwaltung, ein Wahlrektorat. Den vielfältigen studentischen Forderungen
solle durch unbedingte Sicherstellung der berechtigten Ansprüche des saarländi¬
schen Nachwuches auf Ausbildung in der Muttersprache in allen Pflichtfächern
Rechnung getragen werden. Schien sich einerseits ein rapider inneruniversitärer
Wandel anzukündigen, würde andererseits in Berufungsangelegenheiten die Staats¬
angehörigkeit kein Kriterium bilden. Unter allen Umständen sei die Vielsprachig¬
keit und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen und Forschungszentren
beim Lehrkörper anzustreben und allenfalls könne die Beteiligung des deutschen
und des romanischen Sprachkreises durch ein Zahlenverhältnis festgelegt werden.
Bei den Beratungen habe man von 60 % germanischer und 40 % romanischer
Beteiligung im Lehrkörper gesprochen38. Allerdings blieb diese Auffassung univer¬
sitätsintern umstritten. Denn andere Stellungnahmen forderten mindestens 75 %
deutsche Lehrkräfte in der Universität und den einzelnen Fakultäten, um die
Anerkennung der Saarbrücker Examina in Deutschland nicht zu gefährden und um
mit den übrigen Universitäten zu einem gesunden Kräfteaustausch zu kommen39.
Während Butenandt das übrigens auch im Kreis der Medizinischen Fakultät in
Homburg breite Zustimmung findende Memorandum sehr freudig40 begrüßte, die
Resolution in einer kurzen 13 Zeilen-Meldung in der „Frankfurter Allgemeinen“41
erwähnt und fast vollständig in „Le Monde“42 publiziert wurde, übermittelte
Stämpfli dem Nobelpreisträger und Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft zur
Förderung der Wissenschaften, Otto Hahn43, ebenfalls ein Exemplar und berichtete
über die universitäre Situation und die Furcht vor einer reinen Landesuniversität
nach deutschem Vorbild und einer katastrophalen Wendung in der weiteren
Universitätsentwicklung, falls der nationale Gesichtspunkt plötzlich zu stark
geltend gemacht würde44. Dieser Meinungsaustausch wurde anläßlich Hahns
Saarbrücker Vortrag vor dem Verein der Naturwissenschaftler und Ingenieure
(VNIS) und seinen Gesprächen mit Ministerpräsident Ney und Kultusminister
Reinert Mitte Mai 1956 weiter vertieft und führte dazu, daß Hahn bei der bald
folgenden 7. Hauptversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Stuttgart die
38 Alle Zitate aus Stämpflis Brief an Butenandt 16. März 1956 (Universitätsarchiv Saarbrücken,
Sammlung Stämpfli 1).
39 So die im April 1956 von Prorektor Koller verfaßte Stellungnahme zur Frage der ausländischen
Lehrkräfte an der Universität des Saarlandes (Landesarchiv Saarbrücken MK 5222).
40 So Butenandt an Stämpfli 25. April 1956.
41 Frankfurter Allgemeine 21.3.1956: Gegen eine rein deutsche Universität.
42 Le Monde 31.3.1956: L’avenir de l’Universite de la Sarre.
43 Zu Person und Werk Otto Hahns (1879-1968) zuletzt mit weiteren Quellenangaben Hoffmann, K.,
Otto Hahn. Schuld und Verantwortung. Konflikte eines Wissenschaftlers, Berlin 1993. Hahn referierte
am 16. Mai 1954 im Saarbrücker Ludwigs-Gymnasium über „Atomare Prozesse“. Vgl. den Bericht:
Nobelpreisträger Otto Hahn sprach in Saarbrücken, in: Saarbrücker Neueste Nachrichten 19. 5.
1956.
44 Stämpfli an Hahn 3. April 1956 (Universitätsarchiv Saarbrücken, Sammlung Stämpfli 1).
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