In München haben wir zunächst in einem Hotel übernachtet und sind dann morgens
zum Braunen Haus gegangen. Dort wurden wir von einem Herrn Bohrmann13 ins
Zimmer geführt, dem wir die ganze Angelegenheit nochmals vorgetragen haben.
Von dort sind wir in ein anderes Haus geführt worden und haben dort einem
dritten Herrn nochmals alles erzählt. Wir wurden dann mit dem Bescheid
entlassen, dass unsere Sache in besten Händen sei und wir ruhig nach Hause
fahren sollten ... In Lauterbach selbst hat niemand gewusst, dass Frau Panoram
und ich zum Führer gefahren waren. Da ich in der Annahme war, dass mein Mann
infolge seiner Krankheit im Spital sei, bin ich zu der bekannten Familie Schmitt,
Adolf Hitlerstrasse, und habe denen erzählt, dass ich soeben vom Führer käme. Mir
wurde das zunächst nicht geglaubt. . . Ich habe über das Ergebnis unserer Fahrt
erzählt und dass man uns in München gesagt habe, wir sollten ruhig nach Hause
fahren, da unsere Sache in besten Händen sei. ... Es besteht die Möglichkeit, dass
einzelne Leute beim Weiter erzählen noch etwas dazu gemacht haben, sodass ein
ganz falsches Bild entstanden sein kann .. ..
Die Daten der Vernehmungen sind in den Abschriften nicht überliefert. Sie sind
aber sicher bald nach der Reise der beiden Frauen, also Anfang März, anzusetzen.
Somit stehen sie in unmittelbarem Zusammenhang mit den Maßnahmen insbeson¬
dere der Gestapo, den Widerstand der Bergarbeiter zu brechen, Stärke zu demon¬
strieren. Daß die Abschriften der Protokolle in der SD-Überwachungsakte des
Pfarres Schu überliefert sind, zeigt, daß auch dieser im Verdacht stand, zu den
„Aufwieglern“ zu gehören. Aber die Aussage von Frau Kerner, die Idee, sich an
den Führer zu wenden, sei ihr in der Kirche gekommen, mag nicht ausgereicht
haben, Pfarrer Schu in diesem Falle den „Rädelsführern“ zuzuordnen. Verbindun¬
gen des katholischen Pfarrers Schu in Lauterbach und des evangelischen Pfarrers
Straub in Karlsbrunn werden freilich auch in einem Bericht eines V(erbindungs)-
Mannes vom 14. Juni 1936 vermutet14.
Daß die Fahrt der Frauen durch Gegner der NS-Partei angeregt worden sei, ist aber
ohnehin unwahrscheinlich. Dahinter steht schließlich die von der NS-Propaganda
mit Erfolg verbreitete Vorstellung, Fehler nicht Hitler selbst anzulasten, sondern -
wenn es denn schon Fehler sind - dessen Untergebenen und vielleicht noch dessen
Gefolgsleuten. „Wenn es der Führer wüßte ... - gäbe es das nicht“; das war
gegenüber den „Volksgenossen“ eine nicht nur sehr wirkungsvolle Freistellung des
Führers von persönlicher Verantwortung, sondern in gewisser Weise sogar dessen
Überhöhung über „irdische“, alltägliche Mängel und Fehler.
Umso erstaunlicher ist da freilich die Reaktion der beiden jungen Bergarbeiterfrau¬
en, diesen Führer persönlich oder doch wenigstens dessen Stellvertreter beim Wort
zu nehmen. Der - wie mir scheint: glaubhaft - spontane Entschluß der beiden um
die 30/35 Jahre alten Frauen, von Lauterbach zum Obersalzberg zu fahren, zeigt
auch und wohl in erster Linie die große Sorge der Familien der Grenzgänger, was
13 Von seiner damaligen Funktion wäre es wahrscheinlicher, daß Martin Bormann (vgl. Anm. 9) zu
dieser Zeit in München war.
14 Wie Anm. 7, Bl. 18: Eine Verbindung zu diesen (d. i. den Emigranten) war bisher noch nicht den
beiden Pfaffen nachzuweisen, aber daß diese besteht, darüber bin ich mir nicht im geringsten
Zweifel.
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