Klaus-Michael Mallmann
SYNDIKALISMUS IN DER PROVINZ.
Zur Geschichte der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ (Faud)
1919-1935
Jahrzehntelang galt der Syndikalismus als typisch mediterranes Phänomen, das sich
- so etwa Werner Sombart - letztlich nur aus dem „Volkscharakter“ erklären lasse1.
Im Kontrast zur angelsächsisch-pragmatischen und zur kontinental-sozialdemokra¬
tischen Arbeiterbewegung konstituierte diese völkerpsychologische Einordnung
einen romanisch-syndikalistischen Typus mit geringem Organisationsgrad, mangel¬
hafter Beitragsdisziplin und realitätsfernem Aktionismus, der - gemessen an der
Norm kapitalistischer Fabrikdisziplin - geradezu als Kinderkrankheit proletarischen
Organisationsverhaltens erschien2. Erst mit der Neubewertung der Novemberrevo¬
lution und der Räte begann man die Rolle des Syndikalismus auch in Deutschland
zu erhellen, stieß man auf dessen Wurzeln im Kaiserreich, auf die Oppositionsbe¬
wegung der Berliner „Lokalisten“ und der 1897 gegründeten „Freien Vereinigung
deutscher Gewerkschaften“, auf deren örtlich und beruflich begrenzten Organisa¬
tionsrahmen und die daraus resultierenden Praktiken der Versammlungsdemokratie
und der unmittelbaren Delegation3, entdeckte man im Ruhrbergbau das Fortbeste¬
hen vorverbandlicher Formen der Willensbildung, die selbst in den Jahrzehnten
stabiler gewerkschaftlicher Organisation als konkurrierendes Delegationsprinzip
erhalten blieben4 *, Traditionen also, in denen spezifisch deutsche Ursprünge der
1 W. Sombart, Sozialismus und soziale Bewegung, Jena 19197, S. 123 ff.
2 Als Forschungsbericht dazu P. SCHÖTTLER, Syndikalismus in der europäischen Arbeiterbewegung.
Neuere Forschungen in Frankreich, England und Deutschland, in: Arbeiter und Arbeiterbewegung im
Vergleich (hrsg. von K. Tenfelde), München 1986, S. 419^475.
3 Vgl. D. H. Müller, Gewerkschaftliche Versammlungsdemokratie und Arbeiterdelegierte vor 1918.
Ein Beitrag zur Geschichte des Lokalismus, des Syndikalismus und der entstehenden Rätebewegung,
Berlin 1985; R. Boch, Handwerker-Sozialisten gegen Fabrikgesellschaft. Lokale Fachvereine,
Massengewerkschaft und industrielle Rationalisierung in Solingen 1870 bis 1914, Göttingen 1985.
4 Vgl. K. Tenfelde, Linksradikale Strömungen in der Ruhrbergarbeiterschaft 1905 bis 1919, in: Glück
auf, Kameraden! Die Bergarbeiter und ihre Organisationen in Deutschland (hrsg. von H. Mommsen/
U. Borsdorf), Köln 1979, S. 199-223.
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