Auftrag entsandt worden waren, bei möglichen Komplikationen als ebenbürtige
Vertreter des Königs - und als Verwandte des Kaisers - auftreten zu können, was
sich dann aber als überflüssig erwies. Der Verfasser von C hätte diesen Vorgang
dann als entbehrliches Detail in seinem Bericht ausgespart. Jedenfalls erweist die
betreffende Notiz von M deren Verfasser nicht unbedingt als schlecht informierten
oder gar unglaubwürdigen Berichterstatter.
III.
Die auf den ersten Blick ins Auge springende Besonderheit von M gegenüber C
liegt zweifellos in den Angaben über die Speisefolgen bei den drei Banketts vom 5.
und 6. Januar49. Über die bei den öffentlichen Diners und Soupers aufgetragenen
Speisen äußert sich C nur in pauschaler Form. Zum Souper des 5. Januar meint der
Chronist, es wäre eine zu langwierige Sache, die große Menge der Speisen (mes)
aufzuzählen, und zum Diner des Epiphaniasfestes, an dem der Kaiser teilnahm,
wird vermerkt, der König habe vier Gänge (assiettes) mit insgesamt vierzig Speisen
(pere de mes) angeordnet; jedoch seien wegen des Kaisers Unwohlsein nur drei
Gänge mit dreißig Speisen serviert worden, dazu aber noch zwei entremes50.
Außerdem erwähnt C mehrfach, nach dem Souper seien Konfekt (espices) und
Wein angeboten worden51, worüber in M nichts verlautet.
In M werden drei Speisefolgen notiert, zwei für die Diners vom 5. und 6., eine für
das Souper vom 5. Januar. Die Mahlzeiten bestanden jeweils aus drei mes (hier:
Gängen) mit unterschiedlich großer Anzahl (3/10) von Speisen. Dazwischen konnte
es entremes geben, Zwischengerichte oder besser: Zwischenspiele, so das Stück
von der Eroberung Jerusalems durch Gottfried von Bouillon und seinen Gefährten.
Diesem Intermezzo verdankt das Diner vom Epiphaniastag einen Teil seines
Ruhms52: Es gilt als bis dahin aufwendigste Inszenierung dieser Art im Rahmen
eines Festessens. Als Autor und vielleicht auch als Regisseur des Spektakels kann
der im Umkreis Karls V. wirkende einstige Kanzler des Königs von Zypern,
Philippe de Mezieres, in Betracht gezogen werden, einer der eifrigsten Verfechter
einer Renaissance der Kreuzzugsbewegung53.
Das Memorandum aus Lille läßt die Bedeutung dieses Mahls und der beiden
anderen vom Tage zuvor im Rahmen der kulinarischen Zivilisation des Mittelalters
noch deutlicher erkennbar werden, als das aufgrund des Berichtes von C möglich
war. Die in M enthaltenen „Speisekarten“ sind, soweit ich sehe, die ersten Listen
mit nach ganz bestimmten Rezepten hergestellten und teilweise mit individuellen
Namen benannten Gerichten, die zu einem Diner oder Souper zusammengestellt
49 Chronique, 228 ff. u. 236 ff,
50 Chronique, S, 231 u. 238.
51 Chronique, S. 226, 231, 242.
52 Vgl. u. bei Anm. 60 u. 66.
53 Vgl. J. Richard, Artikel „Mézières, Philippe de“ in: LM 6 (1992), coi. 592 f.
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