Demgegenüber M: Bei ihrer Begegnung zieht der König seinen Hut (chapel), der
Kaiser seine (Pelz-)Mütze (aumuche)31. Danach reiten die beiden, einer neben dem
anderen, in Richtung Paris und ziehen so auch in die Stadt ein. Wer von den beiden
die rechte Seite einnahm, wird nicht vermerkt. Vom Tor an führen die Herren
Charles de Poitiers und Bureau de La Rivière den Kaiser (!) am Zügel bis zum
Palais, während die Herren Adam de Galonguet und Guillaume des Bordes den
König geleiten. Der Verfasser bestätigt seine Version, nur Oheim und Neffe seien
in einer Reihe geritten, mit der Notiz, nach Kaiser und König seien der König von
Böhmen, der Herzog von Brabant, also Sohn und Halbbruder Karls IV., sowie alle
Brüder König Karls V. gefolgt.
Daß die für das Protokoll zuständigen Räte des Königs von Frankreich bei
Vorbereitung und Durchführung des kaiserlichen Besuchs mitunter der Verzweif¬
lung nahe gewesen sein müssen, läßt sich dem offiziösen Bericht von C auch ohne
Vergleich mit M unschwer entnehmen37 38. Die Kalamitäten begannen demnach
bereits damit, daß der Kaiser seinen Neffen im Unklaren darüber ließ, wo er die
Grenze zum Königreich Frankreich überschreiten werde. Als man erfährt, daß dies
bei Cambrai geschehen werde, steht das Weihnachtsfest unmittelbar bevor und
damit eine liturgische Handlung, die Verlesung der Anfangsworte des Evangeliums
in der Mette durch den mit gezücktem Schwert neben dem Geistlichen stehenden
Kaiser39. Karl V. kannte diese Zeremonie von seinem Besuch des Großen Metzer
Hoftages und war nach dem Bericht von C entschlossen, diese Bekundung
augustäischer Hoheit auf dem Boden seines Reiches zu verhindern, was den von
ihm an die Grenze delegierten Herren auch gelungen sei: Der Kaiser überquerte die
Grenze erst Ende Dezember40. Eine weitere protokollarische Delikatesse wurde
bereits erwähnt, nämlich Farbe und Statur der Pferde, auf denen Karl V., sein
Oheim und sein Vetter die letzten Meilen bis Paris zurücklegen würden. Natürlich
wird bei diesen Überlegungen auch die Frage erörtert worden sein, in welcher
Formation der König und seine beiden ranghöchsten Gäste nach Paris reiten sollten,
was C allerdings nicht erwähnt. Die Dreierreihe ergibt sich nach dieser Darstellung
sozusagen von selbst: Der König bittet den Kaiser, sich an seine rechte Seite zu
begeben, worauf es zu dem erwähnten Disput kommt, der anscheinend dazu dient,
die Bescheidenheit des Kaisers und die Courtoisie des Königs unter Beweis zu
stellen.
Wem ist nun im Hinblick auf die Ordnung der Reiterschar zu glauben, dem
Verfasser von C mit seiner Dreierreihe oder dem von M mit der paarweisen
Gruppierung von Kaiser und König sowie den ihnen folgenden Herren? Um es
vorweg zu sagen: Eine unbezweifelbare Entscheidung dieser Frage wird ohne die
Entdeckung einer weiteren, von beiden Texten unabhängigen Quelle nicht möglich
sein, und ein solcher Glücksfall kann kaum noch erwartet werden. Andererseits
aber führt die Kenntnis von M zu dem Schluß, daß C nicht in allen Punkten den
37 Zur aumusse (aumuche) vgl. R. DELORT, Le commerce des fourrures en occident à la fin du Moyen
Age, Bd 1, Paris 1978, S. 429.
3K Dazu und zum folgenden vgl. auch NEURE1THER (wie Anm. 2), S. 112 ff. u. 170 ff.
39 Chronique (wie Anm. 2), S. 199. Vgl. dazu H. HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren
Mittelalter, in; DA 39 (1983), S. 162 ff.
40 Chronique, S. 200 f.
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