Full text: Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (21)

se Zitate standen politisch-aktuell uminterpretiert für die schreckliche Erfahrung des 
Verlustes der nationalen Zugehörigkeit und besonders für die Belagerung und Ann¬ 
exion der französischen Stadt: "Malheur à moi! Fallait-il naître pour voir la ruine de 
mon peuple, la reine de la cité, et pour demeurer au milieu d’elle pendant qu’elle est 
livrée aux mains de l’ennemi." (Масс. Bl, 2,7)18 Die Verbindung von patriotischer, 
ehrenvoller Pflichterfüllung und christlicher Hoffnung implizierte eine politische Inter¬ 
pretation der Inschriften in ihrer Gesamtheit, als Hoffnung auf die Rückkehr zu 
Frankreich. "Souvenir" und "Espérance" sollten die Schlüsselworte bei allen franzö¬ 
sischen Erinnerungsfeiern werden. Die Gedenkmesse wurde von nun an am 7. Sep¬ 
tember abgehalten, 1885 vom Metzer Bischof Dupont des Loges als eine auf Ewigkeit 
zu lesende Messe festgelegt.19 Sie galt bis zur Enthüllung des französischen Regio¬ 
naldenkmals 1908 bei Noisseville als die Hauptveranstaltung, die seit der Annexion 
"tout ce que la Lorraine comptait encore de vrais Lorrains" auf reichsländischem Bo¬ 
den vereinte.20 Nach der Ablösung des letzten französischen Bürgermeisters 1877 
verengte sich der formale Handlungsspielraum des Totengedenkens. Trauerschärpen 
mit Inschriften und Perlenkränze wurden von der deutschen Verwaltung verboten und 
mußten am Denkmal entfernt werden21. 
Trotz der Einschränkung und Überwachung von deutscher Seite blieben die Gedenk¬ 
messe und der Besuch des Denkmals die wichtigste Identifikationsmöglichkeit mit der 
verlorenen französischen Nation und ein emotional-psychologisches Zeichen des 
inneren Zusammenhalts der alteingesessenen Metzer Bevölkerung, wie es Maurice 
Barrés eindringlich in "Colette Baudoche" schilderte.22 Gedenkmesse und Denkmal 
symbolisierten den Bestattungsort der "patrie" und vereinten zugleich alle Hoffnungen 
auf eine bessere Zukunft, die ohne eine Rückkehr zu Frankreich nicht denkbar 
schien.23 
Im Gegensatz zu dieser in kurzer Zeit entstandenen homogenen Form des lokalen 
Erinnerungskultes konnten auf deutscher Seite die Einzelaktionen verschiedener Ver¬ 
eine erst 1890 in einer Dachorganisation, der "Vereinigung zur Schmückung und 
fortdauernden Erhaltung der Kriegergräber und Denkmäler bei Metz", koordiniert 
18 ADM, 12 AL 290. Das Erinnerungsblatt an die Einweihungsfeierlichkeiten "Monument 
funèbre érigé par la ville de Metz, inauguré le 7 septembre 1871" dokumentiert auch die 
weiteren Inschriften. 
19 Jean (Anm. 15), S. 162: "...assurer aux soldats français à la cathédrale de Metz un service 
solennel et des prières qui dureront autant que la Lorraine." 
20 Zit. nach Berthe Poirier, Le culte du souvenir en Lorraine, in: Revue de Paris 5 (1919), S. 
622-640, hier S. 624. Vgl. auch Roth (Anm. 9), S. 426 u. ders., La Lorraine dans la guerre de 
1870, Nancy 1984, S. 99. 
21 Bezanson (Anm. 13), S. 671f. 
22 Maurice Barrés, Colette Baudoche. Histoire d’une jeune fille de Metz, Paris 1909. 
23 Le Lorrain v. 8. Sept. 1884: "Le glas funèbre l’appelle autour de l’autel où l’on prie pour 
ses glorieux morts de 1870, et autour de cette tombe sous laquelle nous avons enseveli la 
patrie morte avec nos coeurs et tant de milliers de ses héroïques enfants...", ähnlich Le 
Lorrain v. 8. Sept. 1885. 
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