Full text: Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum

oder abends nach Sonnenuntergang). [...] Falls Anpflanzungen infolge unterlassener 
Pflege eingehen, werden diese auf Kosten des Wohnungsinhabers, bei gemeinschaftli¬ 
chen Gärten und Straßenanpflanzungen allen Bewohnern, welche die Pflege zu besor¬ 
gen haben, angerechnet, sobald nicht rechtzeitig der Schuldige bekannt gegeben wird. 
[...] Falls durch die Aufstellung von Gartenhäuschen pp. oder die Anlegung von An¬ 
pflanzungen von Seiten des Bewohners das gute Aussehen der gesamten Bebauung 
gestört werden sollte, kann von der Gelsenkirchener Bergwerks-A.G. die Entfernung 
solcher Anlagen verlangt werden". 
Das Mietverhältnis gilt nur so lange, als der Wohnungsinhaber bei der Gelsenkir¬ 
chener Bergwerks A.G. "in Arbeit steht".16 Die Voraussetzungen, die unerläßlich 
sind, um zu einer Werkswohnung der Gelsenkirchener Bergwerks A.G. zu kommen, 
sind entsprechend schwer zu erfüllen. Das Interesse der Gesellschaft geht mit Si¬ 
cherheit über das hinaus, was Emil Mayrisch bezüglich des Düdelinger Economats 
ausspricht: "Warum wir das gethan haben? Nicht aus Philanthropie, noch weniger aus 
Mitleid, sondern aus Interesse. Aus dem Interesse, zu Mitarbeitern am gemeinsamen 
Unternehmen vollwertige Menschen heranzubilden, die in vollem geistigen und 
materiellen Gleichgewicht ihre Kräfte unbeschränkt betätigen können."17 
Die paternalistische Unternehmensführung handelt "aus Interesse und nicht aus 
Nächstenliebe", um den Arbeiterparteien und den Gewerkschaften das Wasser 
abzugraben. Die Wohnungsvergabe und die Versorgung der Arbeiter durch betriebs¬ 
eigene Lebensmittelzentralen sind geeignete Mittel, die Arbeitnehmer unter Kontrolle 
zu behalten. Dazu sollen individuelle Merkmale bei den Arbeitern so weit als möglich 
unterbunden werden, was sich bis in die Wohnungseinrichtung fortsetzt - indem es 
beispielsweise den Arbeitern, im Gegensatz zu den Beamten, aus angeblich hygieni¬ 
schen Gründen nicht erlaubt ist, ihre Wohnung zu tapezieren. Der im Verhältnis zu 
anderen Arbeiterunterkünften freundlichere Charakter der von der Gelsenkirchener 
Bergwerks A.G. angelegten Arbeitersiedlungen täuscht darüber hinweg, daß sich die 
Arbeiter dem Zugriff ihres Arbeitgebers nicht entziehen können. 
Wo die "Urbilder" der Gelsenkirchener Siedlung herkommen, ob sie als vorgefertigte 
Modelle in Luxemburg eingeführt wurden oder speziell für die dortige Situation 
entworfen wurden, bleibt noch zu prüfen. Ähnlichkeiten gibt es beispielsweise mit 
Gelsenkirchener Bauten, etwa der Schievenfeldsiedlung, und mit den Gartenstadt¬ 
siedlungen. Doch handelt es sich bei den Escher Arbeiterkolonien nicht um Garten¬ 
städte, eher um Gartenvorstädte. Es sind keine autonomen Orte mit einer Infrastruk¬ 
tur, sondern ausschließliche Wohnviertel. Auch fehlt der sozialreformerische Aspekt 
im Sinne der Gartenstadtbewegung mit ihrer Forderung nach Gemeinbesitz an Grund 
und Boden wie auch ihre erzieherische Absicht zwecks einer "Harmonie der Men¬ 
schengesellschaft". Für die Werkswohnungen gilt eher das Gegenteil: Die soziale Se- 
16 Hausordnung und Mietbestimmungen für die Wohnungen der Gelsenkirchener Bergwerks 
AG. in Esch-Alzette und Deutschoth, Esch im Oktober 1918, AC.A 831, Maisons ouvrières 
et d’employés, Heft 28/42. 
17 Emil Mayrisch, Düdelingen, 18. November 1906, in: Norbert Quintus, D’Aarbecht an de 
Gallerien, Luxemburg 1988, S. 133. 
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