derzugeben, die auch heute noch zum Teil Gültigkeit haben: "Auch haben wir davon
Abstand genommen, Vergleiche mit dem Auslande anzustellen, weil wir zunächst für
unsere Landgemeinden Vergleichsobjekte überhaupt nicht vorfanden. Dasselbe ist der
Fall für unsere Industrieortschaften, die wegen ihrer äußerst raschen Entwicklung nur
sehr schwer mit Ortschaften des Auslandes verglichen werden können. Wenn man
dazu noch in Betracht zieht, daß sich diese Industrieortschaften aus fast rein ländli¬
chen Gemeinden entwickelt haben und noch heute mit ländlichen Elementen teilweise
durchsetzt sind, so wird man uns zugeben, daß wir vollgiltige Vergleiche mit Unter¬
suchungen des Auslandes, die sich fast sämtlich auf Ortschaften mit rein städtischem
Charakter erstrecken, überhaupt nicht aufstellen konnten" (HW2, S. 316).
Zusätzlich dazu scheint eine Analyse des historischen Kontexts, in dem die Zählung
vorgenommen wurde, angebracht. Ein halbes Jahr nach der Durchführung der
Häuser- und Wohnungsuntersuchung wurde am 29. Mai 1906 in der Abgeordneten¬
kammer ein Gesetz über die Erbauung von billigen Arbeiterwohnungen verabschiedet,
nach Ansicht der Autoren der Studie "ein großer Schritt nach vorwärts" (HW1, S. 3).
Es stellt sich die Frage nach einem direkten oder indirekten Zusammenhang zwischen
der statistischen Erhebung und den Debatten in der Abgeordnetenkammer.
Schwieriger zu beantworten wird die Frage sein, wer die Untersuchung durchführte,
welche Modelle als Vorbild dienten und an welchen Methoden man sich orientierte.
Eine Durchsicht der eventuell noch vorhandenen Bestände der Bibliothek der Ständi¬
gen Kommission für Statistik könnte in dieser Frage weiterhelfen. Folgende Autoren
bzw. Studien werden in beiden Bänden namentlich erwähnt: Ludwig Sinzheimer ("Die
Arbeiterwohnungsfrage"); Hans Freiherr v. d. Goltz ("Die Wohnungsinspektion und
ihre Ausgestaltung durch das Reich"); Rudolf Eberstadt (Handbuch des Wohnungs¬
wesens); Karl Johannes Fuchs; Hellemans ("Entwurf zu einem Regiemente über die
Erbauung billiger Wohnungen"); die Hygieniker Erismann, Schuster, Sonderegger; J.
Bertillon (eine mit der Volkszählung von 1891 verbundene Wohnungsunter.suchung);
Friedrich Engels ("Die Lage der arbeitenden Klassen in England"); Entwurf eines
deutschen Reichsgesetzes über die Wohnungsinspektion; das Großh. Hessische Gesetz
vom 1. Juli 1893; die Verordnungen der Städte Düsseldorf, Dresden, Leipzig, Dessau,
Hamburg u.a. Es stellt sich außerdem die Frage, ob die Autoren der Untersuchung
die Studie von Karl Seutemann über die deutsche Wohnungsstatistik gekannt haben,
in der ausführlich über die verschiedenen Erhebungskriterien einer Wohnungsunter¬
suchung referiert wird.38
Schließlich gilt es, die Studie einzureihen in die langfristige Wohnsituation in Düdelin-
gen vom Beginn der Industrialisierung in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts bis in
die 80er Jahre unseres Jahrhunderts, in denen gerade in Düdelingen Anstrengungen
unternommen wurden, durch das Projekt "Renaissance du Brill" die Renovierung
einer größeren Arbeitersiedlung als eine "Alternative zum bestehenden Wohnungs¬
bau"39 darzustellen, wobei "alt und neu in ausgewogener Harmonie" nebeneinander
38 Seutemann (Anm. 18).
39 "Renaissance du Brill", Titel der 1979 erschienenen 2 Broschüren.
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