Von 1773 bis 1779 besuchte Anton Baur das Kolleg von Molsheim11. Er gehörte auch
hier zu den Zöglingen, die für ihre Leistungen Preise und Lorbeerkränze bekamen.
Anton Baur erlangte 1777 den Grad eines baccalaureus der Philosophie, so daß er
seine Studien an der Straßburger Universität beginnen konnte. Nach zwei Jahren
erwarb er den Grad eines Lizentiaten und den eines Doktors der Philosophie. Er
hatte jedoch keinen Erfolg bei seinen Bemühungen, eine Stelle in einem der Klöster
des Elsaß zu finden. Die Benediktiner von Masmünster (Masevaux) fanden, daß er
eine zu schwache Konstitution habe. Der Konvent der Neuburger Zisterzienser war
komplett, so daß er keine Novizen mehr aufnehmen konnte. Anton Baur trat daher
in das Seminar von Straßburg ein, um Weltgeistlicher zu werden. Es war mehr die
Aussicht auf eine Versorgung als das Gefühl einer Berufung, die ihn bei dieser Ent¬
scheidung leitete. Er verschweigt auch nicht die Anfechtungen, die das Versprechen
des Zölibats ihm bereitet hatte.
Seine Laufbahn wies zunächst keine Brüche auf: 1781 wurde er Subdiakon, 1782 Dia¬
kon. Doch seine Karriere hätte beinahe ein Prozeß beendet, den sein Straßburger
Hauswirt angestrengt hatte. Er wollte vor Gericht die Feststellung erreichen, daß
Anton Baur der Vater des Kindes sei, das seine Tochter zur Welt gebracht hatte. Der
Beschuldigte wurde sofort aus dem Seminar ausgeschlossen. Wenn auch die Klage
gegen Baur von den Richtern der 1. und 2. Instanz abgewiesen wurde, verweigerte
ihm der Bischof von Straßburg die Priesterweihe. Er erteilte ihm nur ein Exeat, so
daß die Ordination in der Speyerer Diözese möglich war. Am 12. März 1785 erhielt
er die Weihe durch den Weihbischof Kuhlmeier in St. German zu Speyer. Drei Tage
später las er seine erste Messe in seiner Vaterstadt Hagenau.
Was bedeutete für Anton Baur die Aufnahme in den ersten Stand der Nation? - Der
junge Pfarrer verstand sich als ein Mitglied des 3. Standes, das sich seiner Rechte und
seiner selbst bewußt war. Er verwies mit Stolz darauf, daß seine Vorfahren aus die¬
sem Stande gekommen seien, ohne Ausnahme rechtschaffen und ehrenhaft gewesen
seien. Anton Baur teilte wohl die Ansicht, die Emmanuel Sieyès in der Schrift „Was
ist der 3. Stand?“ zum Ausdruck bringt: Der Klerus ist eine Berufsgruppe, die mit
einem öffentlichen Amte betraut ist. Das Mitglied ist nicht privilegiert, sondern das
Amt. Der Klerus ist nicht als besondere Kaste anzusehen. Diese Bezeichnung trifft
nur auf die Gruppe der Gesellschaft zu, die Privilegien ohne nützliche Tätigkeit
genießt: den Adel12. Es ist das Prinzip des Utilitarismus, das der Abbé Sieyès mit vie¬
len Zeitgenossen vertrat.
Welche Aussichten hatte nun der junge Geistliche? Er konnte kaum damit rechnen,
daß er eine Pfarrstelle durch den Straßburger Bischof erhalten würde. Er hatte noch
die Aussicht, eine Anstellung als Vikar oder als Gehilfe eines Pfarrers zu erhalten.
Nach Jahren bekäme er vielleicht auch eine der königlichen Pfarreien, die der Inten-
" Das Tagebuch bringt auf vielen Seiten Angaben über die Lehrinhalte und Lehrmethoden; sie
sind vor allem für die Schulgeschichte des Elsaß von Belang.
12 Emmanuel S i e y e s, Abhandlung über die Privilegien / Was ist der dritte Stand? Hrsg, von
Rolf Hellmut Foerster. Frankfurt am Main 1968, S. 59,
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