Full text: Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende

von ökonomisch-herrschaftlicher Bevormundung. Im Gegenteil. Andererseits gab es 
aber auch von seiten der Arbeiter keine Probleme, die sozialen Angebote anzunehmen. 
Mit der Unterstützung der Knappschaftskasse und des Schulwesens sowie der 
Organisierung großer Feste, vor allem der Förderung des Wohnungsbauwesens durch 
das Prämienhaus verfolgte die Bergwerksdirektion bei aller paternalistischer Verbrä¬ 
mung klare Unternehmerinteressen. Einmal wollte sie eine qualifizierte Arbeiterschaft 
heranziehen, die den konstanten Ausbau und die Ausweitung des Bergbaus sächerstell- 
te. Besonderes Engagement wurde besonders belohnt. Zweites Ziel war die Verhinde¬ 
rung einer Proletarisierung der Arbeiterschaft, die - ein Schreckgespenst aller 
Unternehmer - leicht anfällig machte für arbeitgeberfeindliche sozialistische Ideen. 
Schließlich sah sich die preußische Bergwerksdirektion als Teil des preußischen 
Obrigkeitsstaates mit seinem Anspruch auf fleißige und treue Untertanen, die das 
allerdings nur sein konnten, wenn ihre materiellen Interessen so befriedigt wurden, 
daß sie die Möglichkeit hatten, sich als preußische Bergleute und Bürger zu bekennen. 
Obwohl die sozialen Maßnahmen nicht zu hoch veranschlagt werden dürfen — ein 
dürftiger Lebensunterhalt konnte selten überschritten werden -, bewirkten die 
preußischen Angebote doch eine starke Anpassung an die obrigkeitliche Ordnungs¬ 
welt, die die Arbeiter bei aller Kritik, der sie im Streik Ausdruck gaben, niemals 
grundsätzlich in Zweifel zogen. Eine durchgängige Proletarisierung wurde verhindert, 
allerdings letztlich nur außerhalb der engen industrialisierten Zonen, und die Voraus¬ 
setzungen für gewerkschaftliche, vor allem parteipolitische Aktivitäten im Sinne der 
Sozialdemokratie beispielsweise wurden abgeblockt. Gerade die agrarisch-dörfliche 
Einbindung wurde unterstützt. Der Bergmann war stolz auf sein Haus, auf die 
Sozialleistungen seines preußischen Staates, nicht zuletzt fehlte kaum ein Bergmann 
auf den Bergfesten, in die die Bergwerksverwaltung viel investierte. Staatstreue und 
obrigkeitliches Denken ergaben sich von selbst, vor allem, wenn sie auch durch den 
kirchlichen Glauben gestärkt wurden. 
4. Die Lebenswelt des saarländischen Arbeiters war entgegen der allgemeinen Annah¬ 
me, daß der Industrialisierung eine Säkularisierung der Gesellschaft folgte, maßgeb¬ 
lich und bestimmend vom christlichen Glauben geprägt. Vor allem war es die 
katholische Kirche, die unter den Bedingungen einer agrarisch-dörflichen Umwelt und 
patriarchalischen Politik sowohl der preußischen Bergwerksdirektion wie der Großun¬ 
ternehmer eine so große mentale Macht gewann, daß ohne ihre Zustimmung kaum 
etwas unternommen werden konnte. Sie war eine Institution, die in besonderer Weise 
den religiösen Bedürfnissen entgegenkam und den einzelnen Menschen in dieser 
intensiven Umbruchphase einen Sinn vermittelte, der in die Erfahrungswelt der 
Arbeiter paßte. Mit einem aktiven Gemeindeleben, mit intensiver Seelsorge und der 
Gründung einer Bruderschaft speziell für Bergarbeiter, die sowohl religiös wie 
gesellige Aufgaben erfüllen wollte, half die Kirche in beträchtlichem Maße den 
Menschen, sich dem Industrialisierungsprozeß, der ja an sich ganz andere Lebensbe¬ 
dingungen schuf als die alte Agrarwirtschaft, mental anzupassen, ohne durch ihn 
zerrieben zu werden. Vor allem milderte sie mental und sozial den Bruch beim 
Übergang von der agrarischen Lebenswelt zur industriellen Arbeit, sie stärkte die 
Abwehrkräfte gegen eine Ausbeutung und kulturelle Unterdrückung von seiten der 
preußisch-protestantischen Bergwerksdirektion und ihren Beamten, bzw. schuf wich- 
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