Der Vergleich der Streikbewegungen von 1912 an der Ruhr und an der Saar zeigte,
daß eine Konkurrenz von zwei Gewerkschaftsorganisationen in der Auseinanderset¬
zung mit einem Arbeitgeber zu ähnlichem Verhalten der konkurrierenden Organisa¬
tionen führt. Der Gewerkverein geriet jedoch dadurch in Argumentationsnöte, daß er
in den beiden Revieren jeweils entgegengesetzte Positionen vertrat.
Der Streik der Burbacher Hüttenleute zur Durchsetzung der Organisationsfreiheit - in
einer Branche, in der es noch kaum Gewerkschaftsmitglieder in anderen Revieren gab
und wo Massenstreiks eine große Seltenheit bildeten - zeigt, daß die Arbeiter in
Saarabien, wie Friedrich Naumann formuliert hatte,73 nicht so rückständig waren,
wie oft behauptet wurde. Die Arbeiter scheiterten zwar schließlich, da sich die gelbe
Werkvereinsbewegung unter der Kontrolle der Arbeitgeber und aufgrund ihrer
finanziellen Wohltaten durchsetzte, aber es zeigte sich, daß eine Organisation der
Arbeiter notwendig geworden war.
Die Werkvereinsbewegung74 war vor dem 1. Weltkrieg zu einem gefährlichen Gegner
für die Gewerkschaften geworden. 1913 stand sie mit 279 810 Mitgliedern nach den
Freien Gewerkschaften mit 2 525 042 Mitgliedern und den Christlichen Gewerkschaf¬
ten mit 341 735 Mitgliedern an der 3. Stelle. Sie war vor allem in Großbetrieben
vertreten, in der Montanindustrie, aber auch in der modernen Elektro- und chemi¬
schen Industrie und im Maschinenbau. Gerade gegenüber den mächtigsten und im
Montanbereich den reaktionärsten Unternehmern war die Gewerkschaftsbewegung
am schwächsten, und die Werkvereinsbewegung war im Wachstum begriffen. Die
Organisation war für die Arbeiter das wichtigste Instrument zur Durchsetzung ihrer
Interessen sowohl als Arbeitnehmer als auch als Staatsbürger in ihrem Kampf um eine
Verbesserung der materiellen und ideellen Lebensverhältnisse. Arbeitgeber, die eine
gewerkschaftliche Organisation ihrer Arbeiter verhindern wollten, mußten diese selbst
organisieren, ihnen einen Verein anbieten, den sie mit verschiedenen Mitteln unter
Kontrolle hielten.
Eine Konsequenz aus dieser Lage war die Entscheidung des preußischen Handelsmi¬
nisters, die Mitgliedschaft der Bergarbeiter im Staatsbergbau an der Saar in einer
christlichen Gewerkschaft zuzulassen. Die Alternative wäre die Gründung eines
nationalen Werkvereins gewesen, der aber durch Prämien und andere Vergünstigun¬
gen für den Staat sehr teuer geworden wäre. Die christliche Gewerkschaft glaubte
man unter Kontrolle halten zu können.75 Die Mitgliedschaft in einer freien Gewerk¬
schaft verbot man nicht ausdrücklich, um sie nicht in den Untergrund zu zwingen,
73 Vgl. Mallmann, Bergarbeiterbewegung (s. Anm. 16) S. 317.
74 Vgl. Klaus Mattheier, Die Gelben. Nationale Arbeiter zwischen Wirtschaftsfrieden und
Streik. Düsseldorf 1973 (= Geschichte und Gesellschaft. Bochumer Historische Studien),
Zahlen: S. 129.
1 Bericht der Bergwerksdirektion Saarbrücken vom 20. Februar 1913, Zentrales STA der DDR,
Abt. II Merseburg, Rep. 120 BB, Abt. VII, Fach 1, Nr. 14 adh. 13, zit. nach: Klaus Saul,
Staat, Industrie und Arbeiterbewegung im Kaiserreich. Zur Innen- und Sozialpolitik des
Wilhelminischen Deutschland 1903-1914. Düsseldorf 1974 (= Studien zur modernen
Geschichte, Bd. 16), S. 184 f.
55