kleiner Fluss1 hat keine direkte mittelhochdeutsche Entsprechung, kann aber
hervorgehen aus mhd. vluz mit Senkung von /u/ zu /0/ oder durch Anpassung
der Vokalquantität von mhd. vlöz an die von mhd. vluz.
Zum mittelniederdeutschen Verb vleten (asächs. fliotan) ist mnd. viel n.
(asächs. fliot; Holthausen 1954, 21) fließendes Wasser, Gewässer, Fluss¬
lauf, Kanal usw.‘ gebildet. Auf dieses geht nnd. Fleet n. zurück (Falkson 2,
2000, 499f.; MndHdWb 1, 745f). Die mittel- und neuniederländische Form
lautet vliet m. ,vloiend of stilstaand water1; in frühmnl. Zeit variieren die An-
lautgraphien zwischen (v), (f) und (u) (MnlHdWb 720; De VRIES 1971, 792;
VroegMnlWb 4, 5266). Auch das Altnordische, das Altenglische und das
Altfriesische haben entsprechende Ableitungen von den jeweiligen Verben
mit der Bedeutung ,fließen1: anord. fljöt n. ,das Fließen, Fluss1 (DE VRIES
1961, 132), aengl. fleot m. ,Wasser, Meer, Mündung, Fluss, Floß, Schiff
(Holthausen 1974, 107),103 afries. fliät n. ,Bach, Fluss1 (Gildemacher
1993,247-254; HOLTHAUSEN 1925, 138104).
Die älteste Bedeutung von mnd. viel ist ,Wasserlauf, der mit dem Meer
oder mit ins Meer fließenden Wasserläufen in Verbindung steht1 (Falkson 2,
2000, 499f.; SchleswHWb 2, 141). Zunächst im Mündungsgebiet von Elbe
und Weser sowie in England und den Niederlanden beheimatet, dehnt das
Wort sich bis an den Niederrhein und, mit durchgeführter Zweiter Lautver¬
schiebung, bis ins Mitteldeutsche aus.
Fern der Küste können alle fließenden Gewässer und auch Straßenrinnen
und Abzugsgräben Fleet bzw. Fließ genannt werden; in Hamburg werden seit
dem 17./18. Jahrhundert die schiffbaren Stadtkanäle Fleete genannt (Hamb-
Wb 2, 113f.; Kluge/Mitzka 1963, 206).
Die Überlieferung des Wortes in Siedlungs- und Gewässernamen setzt im
9. Jahrhundert ein:105
(1) Rechtenfleth, Wohnplatz Gde. Sandstedt (Lkr. Cuxhaven): 9. Jh.
Rehterefled\
(2) Schmalenfleth, Gde. Brake (Lkr. Wesermarsch): 9. Jh. Scmalonfleet;
(3) fHelagonufliatun (Lkr. Aurich): 10. Jh. in Helagonufliatun;
(4) Uiuuuarflet (Gewässername), genaue Lage unbek. (NL, Prov. Nordhol¬
land, Südholland oder Utrecht): 918/48 kop. 11. Jh. E. aque que uocan-
tur Uiuuuarflet (lies: Viuwarflet) totum sancti Martini;
Eine Zusammenstellung englischer Gewässernamen zu aengl. fleot, fleote findet
sich bei Gelling 1984, 21 f. und Watts 2004, 234. - Aus dem Mittelenglischen ge¬
langt das Wort als Maskulinum flet ,Graben, Kanal1 in die Normandie (FEW 15/2,
142).
104 AfriesHdWb 153 weist nur das starke Verb fliäta, flieta fließen1 nach, nicht das
bei Holthausen im Nachtrag genannte Neutrum.
105 Diese und weitere Namen bei Förstemann II, 1, 907; Gysseling 1021 u. ö.;
Künzel/Blok/Verhoeff 486 (Register); Laur 1992, 724 ( Register).
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