seinen zahlreichen Protestkundgebungen unterstützte er zweifelsohne die deutsche
Verhandlungsstrategie in Versailles, auf das nationale Selbstbestimmungsrecht zu
pochen. Ebensowenig wie es möglich ist, den Grad der Einflußnahme des Saar¬
gebietsschutzes auf Entscheidungen der Reichsregierung exakt nachzuzeichnen,
lassen sich stichhaltige Beweise finden, ob und inwieweit seine Mitglieder handfeste
wirtschaftliche Eigeninteressen verfolgten und ihr Engagement lediglich nationa¬
listisch-patriotische Maskerade war. Die für die „Geschäftsstelle für die Friedens¬
verhandlungen’4 erstellte Denkschrift Hermann Röchlings ließe zumindest letzteren
Schluß zu. Röchling argumentierte hierin einseitig durch die Gegenüberstellung
französischer Versäumnisse und preußisch-bayerischer Leistungen auf technischem
Gebiet und zweifelte insgesamt den Nutzen der Saarindustrie für Frankreich an. da
die französischen Industriellen im Saargebiet nicht einmal die benötigte Qualität an
Kohlen und Koks vorfänden43.
Die Effektivität der Arbeit des Saargebietsschutzes an der Saar selbst ist zu relati¬
vieren: Das Netz von Vertrauensmännern war noch nicht so dicht, als daß bedeutende
Teile der Saarbevölkerung auch tatsächlich erreicht wurden, und die saarländischen
Zeitungen konnten kaum über die Veranstaltungen im Reich berichten. Aufgrund
seines geringen Bekanntheitsgrades erfuhr die Agitation des Saargebietsschutzes
daher nicht die erhoffte Resonanz und konnte somit nur unzureichend Optimismus
verbreiten* 94.
Im Reich führte die Saarhilfsorganisation nach dem verlorenen Krieg einen Kampf
gegen Resignation und Lethargie und versuchte, die Bevölkerung durch Appelle an
den omnipräsenten „Geist von 1914“ zu einer partei- und klassenübergreifenden
Abwehrfront gegen die französischen Annexionspläne zu mobilisieren. Die Niederla¬
ge im November 1918 wurde nicht eingestanden und später ohnehin auf politische -
nicht militärische - Ursachen zurückgeführt95. Da dem Reich die militärischen
Möglichkeiten zu einer Wiederaufnahme der Kriegshandlungen genommen waren,
sollte der „Erbfeind44 im Westen nun mit propagandistischen Waffen besiegt werden.
In diesem Stellvertreterkrieg um die öffentliche Meinung war der Saargebietsschutz
bemüht, an den Jahre zuvor geschlossenen Burgfrieden anzuknüpfen. Das kaum zu
1)3 Angesichts dessen, daß nach Abschluß des Waffenstillstandes der Röchlingsche Besitz in Lothringen
als verloren gelten konnte, mußten günstige Modalitäten für dessen Abwicklung getroffen und vor allem
das Völklinger Stammwerk in die Nachkriegszeit gerettet werden. Die Mitarbeit im SGS wurde zu einer
Familienaufgabe; neben verschiedenen Angestellten betätigten sich insgesamt sechs Mitglieder der
Familie aktiv im SGS: Herrmann Röchling, sein älterer Bruder Karl als Vorsitzender, dessen Sohn Max
(1892-1972), der Vetter der beiden Brüder, Fritz Röchling ( 1864-1934), sowie die Schwäger Hermann
Heidborn und Oscar Mügel.
94 Darüber hinaus wurde seine propagandistische Tätigkeit keineswegs von allen Seiten gewürdigt: Vgl.
Brief Nagels an die GSV (12,10.28), in: LA Saarbrücken, Saar-Verein 10.
° Der Schock über die Niederlage traf die Mitstreiter im SGS ähnlich hart wie die meisten Deutschen.
Paradoxerweise leistete gerade die ausgebliebene innere Liquidation des Krieges einen wichtigen
Beitrag zur Konsensbildung innerhalb des neuen Staates: Vgl. BARTH: Dolchstoßlegenden; DÜLFFER:
Frieden schließen nach einem Weltkrieg?; HEINEMANN: Die verdrängte Niederlage,
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