gebietsschutz wegen des Belagerungszustandes, der am 3. März 1919 durch Reichs-
wehrminister Gustav Noske (SPD) verhängt worden war, gezwungen, die Großkund¬
gebung um zwei Wochen zu verschieben. Das Risiko, daß die Veranstaltung in den
Sog der Berliner Märzunruhen geraten könnte, schien zu groß; außerdem wäre die
beabsichtigte Wirkung verpufft, da wegen des Generalstreiks der Verkehrsbetriebe
auch die Voraussetzungen für den erhofften Massenandrang nicht gewährleistet
waren.
Eröffnet wurde die Veranstaltung am 17. März52 durch den ehemaligen preußischen
Staatsminister für Handel und Gewerbe Dr. Reinhold Sydow. der die Notwendigkeit
des Saargebietsschutzes als Abwehrstelle hervorhob. Nicht allein die reine Annexion
des Saarbeckens, sondern ebenso die dauerhafte wirtschaftliche Bevormundung und
Abhängigkeit der dortigen Industrie von Frankreich sollte seiner Meinung nach
verhindert werden. Angesichts der drohenden Mißachtung des Wilsonschen Grund¬
satzes des Selbstbestimmungsrechtes und der derzeitigen Ohnmacht der Saarbevölke¬
rung stelle sich die Frage, welche Alternativen die Heimat habe. Sydow blieb die
Antwort nicht schuldig:
„Sie kann nichts anderes tun [,] ais durch Wort und Schrift einzutreten für die Gerechtigkeit der
Sache des Saargebiets und seiner Bevölkerung, für seine Interessen, kann suchen, das Gewissen
zu schärfen nicht nur allen Angehörigen des deutschen Volkes, sondern auch den Angehörigen
der neutralen Staaten und, wenn es möglich ist, den Feinden.“53
Nach ihm demonstrierte Geheimrat Dr. Albrecht Penck, Direktor des Geographischen
Instituts, anhand von Fichtbildern die geostrategische Fage sowie die wirtschaftliche
und historische Bedeutung des Saargebiets, während Prälat Dr. Baumgarten54 den
urdeutschen kulturellen und künstlerischen Charakter betonte. Nachdem der Sozial¬
demokrat Otto Hué eine Absage erteilt hatte, war es den Organisatoren gelungen, mit
Karl Fegien dennoch einen prominenten Vertreter der Freien Gewerkschaftsbewe¬
gung für die Saarsache zu verpflichten55. In seiner Ansprache hob Fegien die im
Vergleich zum Reich mangelhaften Arbeiterschutzgesetze Frankreichs hervor. Bevor
Justizrat Dr. Bollert (MdL) unter tosendem Beifall an die Reichsregierung appellier¬
te, keinen Frieden zu unterzeichnen, der deutsche Länder raube, steigerte der Ver¬
sammlungsleiter das Gefühl der Bedrohung: Dramaturgisch geschickt inszeniert
schob er die Eilmeldung aus Saarlouis ein, daß dort anläßlich des Besuchs Marschall
1,2 Zur Kundgebung insgesamt: Vgl. Pressebericht des SGS zur Verteilung an verschiedene Redaktionen
(17.03.19), in: BA-R 8014/5.
53 SF 10(1929)4. S. 64 f.; SF 15(1934) 16/17, S. 314.
In der Kabinettssitzung vom 18.03.19 wurde der liberale Kieler Theologieprofessor Otto Baumgarten
(1858-1934) als Vertreterder evangelischen Kirche zum Mitglied der deutschen Friedensdelegation in
Versailles nominiert: Vgl. AdR, Kabinett Scheidemann, Dok. 16, S. 64.
Auch der Vorsitzende des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften, Adam Stegerwald
(1874-1945) war ursprünglich als Redner über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im
Saargebiet vorgesehen gewesen. Dr. Adolf Dominicus (1873-1945), der Oberbürgermeister von Berlin-
Schöneberg, hatte zumindest für die am 04.03.19 geplante Veranstaltung seine Zustimmung erteilt: Vgl.
undatiertes Protokoll der Ausschußsitzung vom 14.02.19, in: BA-R 8014/835.
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