Angesichts dessen setzte sich auch in der Geschäftsstelle „Saar-Verein“ die Erkennt¬
nis durch, daß die Klärung ihres Verhältnisses zur nationalsozialistischen Reichs¬
regierung mehr als nur ein taktisches Manöver und vielmehr eine Frage des Über¬
lebens war. Zur Vermeidung tiefgreifender Veränderungen in ihrer Struktur und in
der personellen Konstellation der Saarorganisation verfolgte sie im Frühjahr 1933
eine mehrschichtige Strategie: Zunächst galt es, durch anbiedernde Loyalitätsbekun¬
dungen der nationalsozialistischen Führung und den ausgetauschten Spitzen der
staatlichen Bürokratie3 die bedingungslose Kooperationsbereitschaft zu signalisieren.
Diesem Ziel diente die Aufnahme von Nationalsozialisten in die verschiedenen
Gremien des Bundes ebenso wie die ostentative Abgrenzung von Gegnern des neuen
Regimes. Gleichzeitig wurde in der Stresemannstraße die Legende geschmiedet, daß
der Bund der Saarvereine nicht nur zeit seines Bestehens nationalpolitisch zuverläs¬
sig gewesen sei, sondern ähnlich wie die nationalsozialistische Bewegung seit jeher
die Sammlung aller vaterländisch gesinnten Kräfte betrieben habe. Schließlich
versuchte Vogel zu suggerieren, daß die Reichsregierung angesichts der nahenden
Abstimmung nicht auf die jahrelangen Erfahrungen, die bewährten Strukturen und
personellen Ressourcen der einzigen privaten „Saarheimat-Schutzorganisation“
verzichten könne. Solange er noch glaubte, das Heft des Handelns in der Hand zu
halten, entfaltete Vogel auf der Grundlage dieser Taktik eine gesteigerte Aktivität;
binnen weniger Wochen mußte aber auch er erkennen, daß sich die Gleichschaltung
des Bundes der Saarvereine nicht verhindern ließ.
Ende März 1933 baten Dröge, Andres und Vogel den neu ernannten Minister für
Volksaufklärung und Propaganda, über ihre bisherige Arbeit Bericht erstatten zu
dürfen4. Fast gleichzeitig versuchte Vogel, den veränderten Rahmenbedingungen
dadurch Rechnung zu tragen, daß er auch saarländische Mitglieder der NSDAP in
dem zu Jahresanfang aus der Taufe gehobenen „Ehrenbeirat für Saarheimatschutz“
zu integrieren und die Loyalität des Bundes durch anbiedernde Artikel im „Saar-
Freund“ unter Beweis zu stellen gedachte5. Die hektische Betriebsamkeit steigerte
sich noch, nachdem Vogel vom Leiter der Abteilung Grenzland in Kenntnis gesetzt
worden war, daß dieser beabsichtige, entscheidende Schritte in der Saararbeit zu
unternehmen6: Schon am nächsten Tag traf Dröge in seiner Eigenschaft als Treuhän¬
3 Zur Organisation der Saarsteüen nach 1933 vgl. JACOBY, S. 90-100 sowie das „Verzeichnis der
Saarreferenten in Reich, Preußen und Bayern“ (11.12.34), in: PA AA, II a Saargebiet, R 76.070.
4 Vgl. Brief der GSV an Goebbels (28.03.33), in: BA-R 8014/682. Eine Antwort ließ sich nicht finden.
5 In einer frühen Version der Mitgliederliste jenes „Ehrenbeirates“ fand sich unter den Unterzeichnern
auch der Saarbrücker Rabbiner Shlomo Rülf. Bis Sommer 1933 traten insgesamt etwa 350 Personen
dem Ehrenbeirat bei, unter ihnen 120 aus dem Saargebiet, mindestens 14 ehemalige Reichs- und
Staatsminister und etwa 30 Parlamentarier, mit Brüning, Marx und von Papen drei ehemalige Reichs¬
kanzler sowie aus dem neuen Kabinett von Papen, Frick, von Neurath und Hugenberg. Sinn und Zweck
des Ausschusses war die finanzielle Förderung des Bundes: Vgl. Rundschreiben der GSV (Juli 1933),
in: BA-R 53/91; Brief der GSV an Wagner (16.05.33), in: LA Saarbrücken, Saar-Verein 13.
6 Vgl. Brief Dr. Isperts an die GSV (19.04.33), in: LA Saarbrücken, Saar-Verein 13.
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