sehen Kräften zu unterscheiden. Die Parole „11 faut faire payer l'Allemagne!“ wurde
zur heilsverheißenden Zauberformel, auf die sich die französische Öffentlichkeit im
Frühjahr 1919 einschwor81.
Für die Friedenskonferenz der Siegermächte fühlte sich Frankreich bestens gerüstet.
Während des Krieges hatte das im Frühjahr 1917 von Briand eingesetzte „Comité
national d'Etudes“ sich damit beschäftigt, Expertisen für die französische Verhand¬
lungsdelegation auf der in Bälde erwarteten Friedenskonferenz zu erstellen. Im Mai
1917 präsentierte das Comité unter der Leitung des Historikers Ernest Lavisse
detaillierte Argumente wirtschaftlicher, militärischer und politischer Natur für eine
spätere Annexion des Saarbeckens, das von Lucien Gallois als natürliche „Verlänge¬
rung Lothringens“82 gesehen wurde. Aufgrund seiner ethnographischen, historischen
und wirtschaftlichen Untersuchungen verfügte Frankreich schon vor Beginn der
Versailler Friedenskonferenz über reichhaltiges, wissenschaftlich fundiertes
Material8'. Je deutlicher sich im Verlauf der Verhandlungen jedoch abzeichnete, daß
das französische Kriegsziel, die Souveränität des Reiches links des Rheins durch die
Errichtung autonomer Pufferstaaten zu beseitigen, nicht gegen den Willen der
Vereinigten Staaten und Großbritanniens durchzusetzen war84, desto stärker rückte
der „Petit Rhin“ in den Fokus der französischen Verhandlungsdelegation, Doch
selbst mit dieser Minimalforderung, die Saar mit ihren Industriebetrieben zu annek¬
tieren, sollten die Franzosen in Versailles scheitern.
Obwohl die Saarfrage dort nur während zweier Wochen, vom 28. März bis 13. April,
erörtert wurde8" und im Vergleich zu anderen Themenkomplexen lediglich eine
Nebenrolle spielte, drohten die inhaltlichen Differenzen zwischen Wilson und der
französischen Delegation um Clemenceau, die gesamte Konferenz zum Scheitern zu
bringen: Schon am ersten Verhandlungstag des Viererrates zeichneten sich scheinbar
unüberwindbare Konfliktlinien ab, denn der amerikanische Präsident widersetzte sich
vehement den französischen Wünschen86. Historische Argumente schienen ihm
ungeeignet, eine dauerhafte Friedensordnung in Europa zu entwerfen, zumal damit
Präzedenzfälle geschaffen worden wären. Anders als im Falle Danzigs besaßen die
im französischen Memorandum skizzierten ethnographischen Gesichtspunkte für ihn
gegenüber den wirtschaftlichen Aspekten geringere Priorität, und Wilson sah in der
Errichtung eines politischen Sonderregimes seinen eigenen Grundsatz des Selbst¬
81 Vgl. allgemein: Köhler: Novemberrevolution. Zum Schlagvvort „L’Allemagne paiera“ und dessen
Auswirkungen in Frankreich vgl. MlQUEL, S. 425-453; STEINMEYER. S. 129-134.
82 Zitiert nach ebd,, S. 67.
1,1 Vgl. verschiedene Exposés und Gutachten in deutscher Übersetzung bei: Franzosen sprechen über die
Saar, S. 127-193. Vgl. ebenso HIRSCH: Die Saar in Versailles, S. 19-23; STEINMEYER, S. 64—67.
H4 Vgl. Schwabe: Deutsche Revolution, S. 48CM193; BariÉTY: Les relations, S. 32-45.
85 Vgl. FISCHER: Die Verhandlungen über die Saarfrage; HIRSCH: Saar in Versailles, S. 33^47; HÖLZLE;
Schwabe: Die Saarlandfrage in Versailles; Ders.: L’Allemagne à Versailles; TARDIEU, S. 290-307.
86 Vgl. SCHWABE: Deutsche Revolution, S. 470^-80; TARDIEU, S. 279-289.
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