Full text: ‚‚Deutsch die Saar, immerdar!‛‛

Ohnehin war nie ein Dementi erfolgt und wie die Waffenstillstandsverhandlungen 
zeigen sollten, waren die hochfliegenden Pläne nur vordergründig zu den Akten 
gelegt worden, um im Herbst 1918 wieder geballt zum Vorschein zu kommen. 
Frankreich ging aus dem Krieg als schwacher Sieger hervor. Nur dank massiver 
britischer und vor allem amerikanischer Unterstützung war die Republik der Nieder¬ 
lage entgangen. Die industriellen und agrarischen Regionen im Osten des Landes mit 
praktisch nicht mehr vorhandener Infrastruktur glichen Mondlandschaften. Etwa 1,3 
Millionen französische Soldaten hatten in den vergangenen vier Jahren ihr Leben auf 
den Schlachtfeldern gelassen oder galten als vermißt; aufgrund einer höheren Sterb¬ 
lichkeitsrate müssen weitere 200.000 Zivilpersonen sowie Hunderttausende Verwun¬ 
dete und Versehrte zu dieser Bilanz des Todes gerechnet werden. Noch immer war 
Frankreich seinem Nachbarn im Osten sowohl demographisch als auch ökonomisch 
unterlegen . Ausgehend von der Prämisse, daß die militärische, geopolitische und 
wirtschaftliche Überlegenheit Deutschlands beseitigt werden sollte, um der 
geschwächten Republik künftig Sicherheit vor deutscher Aggression zu bieten, 
basierte die französische Verhandlungskonzeption in Versailles auf vier Säulen* 78 *; 
Eine Ostverschiebung der deutsch-französischen Militärgrenze durch die Errichtung 
autonomer Staaten zwischen beiden Ländern, die Beseitigung des preußischen 
Militarismus und der preußischen Dominanz durch weitgehende Entwaffnung und 
Föderalisierung des Reiches, die Schaffung eines kollektiven Bündnissystems gegen 
eine künftige deutsche Aggression sowie die Reduzierung des politischen und 
wirtschaftlichen Potentials des Reiches zugunsten einer ökonomischen Kräftever¬ 
schiebung nach Westen. In diesen Überlegungen über die französische „sécurité“ 
spielte auch die Saar eine zunehmend wichtige Rolle. Auf breiter Front wurden in der 
Deputiertenkammer die Ansprüche auf das Saarbecken angemeldet, die damit be¬ 
gründet wurden, daß Preußen in den vergangenen hundert Jahren zweimal Frankreich 
eines Teiles seines Territoriums beraubt habe; der Diebstahl der Saar 1815 schien 
gleichbedeutend mit dem Elsaß-Lothringens von 18717y. Mit weniger idealisierend- 
historischen, sondern vielmehr handfesten ökonomischen Argumenten plädierte das 
französische Kriegsministerium Ende November ebenfalls für die Annexion der 
Saar80. Dabei konnte sich die französische Regierung der breiten Unterstützung sicher 
sein, denn nach Jahren der Entbehrung schien es selbstverständlich, Deutschland als 
eine Nation von Kriegsverbrechern und Aggressoren finanziell und moralisch für die 
materiellen und physischen Schäden zahlen und büßen zu lassen, ohne zwischen 
ehemals verantwortlicher militärisch-politischer Führung und den neuen demokrati- 
Vgl. BariÉTY: Les relations, S. 175 f. 
7S Die Rückeroberung Elsaß-Lothringens galt als Selbstverständlichkeit: Vgl. NÉRÉ, S. 12-16; BECKER; 
MAYER: Problem der Sicherheit; Miquel, S. 215-418; Poidevin/ BarîÉty, S. 293-316. Vgl. ebenso 
den Forschungsüberblick von DÜLFFER: Die französische Deutschlandpolitik. 
7M Vgl, HIRSCH: Saar in Versailles, S. 27. 
8U Vgl. Ministère de la Guerre, 2e bureau {30.11.18). in: MAE. Paix 59. 
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