wie dem Hunsrück, der Eifel, der Westpfalz und Lothringen'”. Gleichzeitig führte die
Binnenimmigration zu einer Verschiebung der Konfessionsverhältnisse: Der Katholi¬
kenanteil in der ehemals protestantischen Grafschaft Nassau-Saarbrücken pendelte
sich bis 1927 auf etwa 72% ein63 64, während in der Staats- und Grubenhierarchie
weiterhin Protestanten dominierten. Diese Sozialstruktur hatte unmittelbare Aus¬
wirkungen auf die Entstehung und Entwicklung der politischen Parteien und Gewerk¬
schaften: Trotz mehrfacher Versuche konnte die Sozialdemokratie im Saargebiet bis
zum Weltkrieg kaum Fuß fassen. Konfessionelle Vorbehalte einerseits, die zugleich
präventiv-fürsorgliche65 und repressive66 Betriebsordnung der Bergwerksdirektion
und der saarländischen Schwerindustrie andererseits hemmten ebenso wie die Dezen¬
tralisierung und Heterogenität der Arbeiterschaft die Zuspitzung der sozialen Frage.
Noch 1913 zählte die SPD im Revier gerade 800 Mitglieder, im Vorjahr hatte sie bei
den Reichstagswahlen vernachlässigbare 5.800 Stimmen erreicht67. Zur eigentlichen
Arbeiterpartei entwickelte sich das Zentrum, das anders als die Linksparteien und
Freien Gewerkschaften über einen traditionsverhafteten Milieuzusammenhang mit
einem hohen Maß an sozialer Kontrolle verfügte68. Zahlreiche Gewerkschaften und
Fachvereine, unter denen der „Gewerkverein christlicher Bergarbeiter" und der
„Christliche Metallarbeiterverband" naturgemäß die stärksten waren, trugen zur
Integration der religiösen Arbeiterschaft in dieses Milieu bei69 70.
Die geographische Randlage der Saarregion brachte es mit sich, daß die politischen
und wirtschaftlichen Fntscheidungszentren bis 1920 außerhalb des späteren Saar¬
gebietes lagen °. Behinderte das „System Stumm" schon ohnehin die Bildung eines
63 Vgl. Karbach/ Thomes, S. 215 und S. 244 f. Mir 342 Menschen pro Quadratkilometer zählte das
Saargebiet vor dem Weltkrieg zu den am dichtesten besiedelten Regionen des Deutschen Reiches: Vgl.
SWS 5 (1931), S. 7.
64 Vgl. Die Bevölkerung des Saargebietes, S. 390-397. Der Katholizismus erhielt an der Saar das Profil
einer Unterschichtenreligion und Gegenbewegung zur preußisch-protestantischen Obrigkeit: Vgl. PAUL:
Bastion im Westen, S. 27.
65 Das patriarchalische System in „Saarabien" mit seiner quasi-militärischen Disziplin auf den Gruben
und Hütten gewährte der Arbeiterschaft außer Bauprämien und Werkswohnungen weitere, über die
gesetzlichen Vorschriften hinausreichende Vergünstigungen und Leistungen: Vgl. MALLMANN/
Steffens, S. 35 ff.; Krause-Wichmann. S. 1-13; Linden, S. 123-140.
66 Sowohl das dienstliche wie auch das private Leben der Arbeiterschaft sah sich strengen Reglementie¬
rungen ausgesetzt: Vgl. GABEL, S. 36-103.
67 Vgl. MALLMANN: „Dies Gebiet ist bis jetzt noch eine vollständige terra incognita“. Nur wenig besser
erging es den Freien Gewerkschaften: Vgl. MALLMANN: Die Anfänge der Bergarbeiterbewegung an der
Saar, insbesondere S. 47-130 und S. 242-315. Bereits ein Jahr vor dem reichsdeutschen Sozialistenge¬
setz schlossen sich die Saarindustriellen unter Führung Stumms gemeinsam mit der Bergwerks- und
Eisenbahndirektion zu einem „Komitee der Arbeitgeber zur Bekämpfung der Sozialdemokratie“
zusammen. Schwarze Listen sorgten dafür, daß als sozialistisch gebrandmarkte Arbeiter auch in den
anderen Betrieben keine Anstellung mehr fanden. Vgl. HORCH: Herr und Knecht im Hause Stumm.
68 Vgl. Mallmann/ Steffens, S. 182.
69 Vgl. allgemein: SANDER. Zur Lage der Gewerkschaften während der Völkerbundszeit vgl. Gabel, S.
176-190.
70 Die preußischen Landräte waren der Bezirksregierung in Trier, ihre bayerischen Kollegen der Speyerer
Kreisregierung verantwortlich und die Bergwerksdirektion Saarbrücken dem Bonner Oberbergamt
unterstellt. Zur Fremdbestimmung vgl. BOHR. S. 141 ff.; MALLMANN: Borussia, S. 20 f.
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