Obwohl schon vor längerer Zeit angemahnt, fehlt es noch immer an eingehenden
Untersuchungen über die Rolle des Saargebiets im deutschlandpolitischen Konzept
des Quai d’Orsay zu Ende des Ersten Weltkrieges10. Bislang konzentrierte sich die
historische Forschung zumeist auf die allgemeinen deutsch-französischen Beziehun¬
gen oder auf die linksrheinischen Pläne Frankreichs, häufig ohne dabei zwischen dem
Rheinland und dem Gebiet an der mittleren Saar zu differenzieren bzw. dieses in die
Untersuchung einzubeziehen11. Als eigenständiges Forschungsobjekt wurde die Saar
vor der heißen Phase des Abstimmungskampfes nicht hinreichend gewürdigt; weder
über die französische noch über die deutsche Saarpolitik liegen einschlägige Darstel¬
lungen vor.
Zahlreiche zeitgenössische juristische Abhandlungen analysierten die Saarpolitik des
Völkerbundes, doch fand das bis dahin einmalige Experiment einer internationalen
Verwaltung für ein eigenstaatlich nicht lebensfähiges Gebiet nach dem Zweiten
Weltkrieg nicht mehr die ihm gebührende Beachtung12. Infolgedessen stehen Völker¬
bund und Saarregierung noch vielfach unter dem Verdikt der deutschen Propaganda,
während ihrer 15jährigen Tätigkeit unzureichend für „das Wohlergehen der Bevölke¬
rung des Saargebietes“13 gesorgt zu haben. Ein vorurteilsfreies Herangehen an die
Arbeit der fünfköpfigen Regierungskommission wäre notwendig, um die nationali¬
stisch gefärbten Darstellungen der Zwischenkriegszeit zu hinterfragen und gegebe¬
nenfalls zu revidieren14. Die hier aufgezeigten Defizite lassen erkennen, daß noch
immer keine geschlossene Darstellung der saarländischen Zwischenkriegszeit
vorliegt15.
Bestehen bereits Forschungslücken im Bereich der internationalen Politik, so wurde
die staatlich protegierte und schließlich nationalsozialistisch instrumentalisierte
private Saarpropaganda, die hier am Beispiels ihres Prototyps untersucht wird, noch
weit weniger thematisiert. Die bislang einzige Gesamtdarstellung des „Bundes der
Saarvereine“ ist der von Theodor Vogel herausgegebene „Saar-Befreiungskampf1,
10 Vgl. BariÉTY: Die Französische Besatzungspolitik. In seinem umfangreichen „Inventar von Quellen zur
deutschen Geschichte in Pariser Archiven und Bibliotheken“ (unveröffentlicht im Bestand des LA
Saarbrücken und LHA Koblenz) hat Frank WITTENDORFER gezeigt, daß sich dieses Defizit keineswegs
aus einer schmalen Quellenbasis heraus erklären läßt. Vgl. ebenfalls: WlLKENS, S. 15-44 und S. 47-85.
" Vgl. u.a. BariÉTY: Les relations franco-allemandes sowie den Abschnitt von BariÉTY („Vom Ersten
zum Zweiten Weltkrieg“) in: POIDEVIN/ DERS., S. 293—422; SOUTOU: L’or et le sang.
12 Lediglich die Berichte der Reko an den Völkerbund (im „Journal Officiel“) sowie die Akten des
Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes (in den Serie B und C der „Akten zur Deutschen Aus¬
wärtigen Politik“) wurden bislang fragmentarisch publiziert. „Das Saargebiet unter der Herrschaft des
Waffenstillstandsabkommens und des Vertrages von Versailles, Berlin 1921“, als apologetisches
Weißbuch der Reichsregierung herausgegeben, spiegelt nur den Zeitraum bis April 1921 wider.
13 Zitiert aus den Instruktionen des Völkerbundsrats für die Reko vom 13.02.20, in: JO 2 (1920), S. 50.
14 Siehe hierzu das Kapitel „Die Bilanz der internationalen Saarregierung“ (S. 65-91), in: HIRSCH: Die
Saar von Genf sowie RUSSELL: The international Government of the Saar (1926!).
15 Einen ersten Versuch hierzu unternahm Cowan (S. 121-170) fünf Jahre nach Kriegsende. Vgl. ebenso
die komprimierten Überblicke von Herrmann/ SANTE, S. 31^11 und S. 63-67 sowie Zenner: Das
Saargebiet, S. 588-595.
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