All dies hatte gezeigt, daß nur eine eigenständig und zumindest offiziell unabhängig
von Regierungsstellen arbeitende Organisation die notwendige Gewähr bieten
konnte, die staatlichen Behörden vor weiterer Diskreditierung zu schützen. Die
Umwandlung des Westreferates der RfH in die „Rheinische Volkspflege“ (RVP)4?
erfolgte daher im Juni 1920 mit der ausdrücklichen Maßgabe der Regierung, sich
jederzeit von dem Unternehmen distanzieren und es entsprechend fallen lassen zu
können45 46. Offiziell handelte es sich bei der RVP um eine Abwehrorganisation, die in
keiner Verbindung zur RfH stand und deren programmatischer Name als Zugeständ¬
nis an die autonomistische Bewegung im Rheinland verstanden werden konnte.
Selbstverständlich sollten derartige Strömungen keineswegs gefördert werden,
sondern zur Erhaltung der Reichseinheit im deutschen Sinn gesteuert und kanalisiert
werden. Die Tätigkeit der RVP, deren Berliner Zentrale vor der Inflation etwa 25
Mitarbeiter umfaßte, basierte auf zwei Hauptsäulen: Beobachtung und Abwehr. Sie
überwachte die rheinischen Abtrennungsbestrebungen mittels ihrer Außenstellen
Köln und Mannheim und klärte über die französische Kulturpropaganda auf47.
Gleichzeitig leitete sie entsprechende Gegenmaßnahmen ein, beispielsweise durch die
Finanzierung und den Vertrieb von Büchern und Publikationen, in welchen be¬
stehende Ressentiments gegen Frankreich verfestigt wurden. Die RVP baute ins¬
besondere darauf, die gefühlsmäßigen Bindungen an das rechtsrheinische Deutsch¬
landzu stützen, indem sie Wünsche und Bedürfnisse der rheinischen Bevölkerung an
die zuständigen Regierungsstellen weiterleitete48 49.
Da sich die Mehrheitsverhältnisse bei den vorgezogenen Reichstagswahlen (6. Juni
1920) zu Lasten der gemäßigten Parteien verschoben hatten, schien die an der Wei¬
marer Koalition orientierte Zusammensetzung des Saarausschusses nicht mehr
zeitgemäß. Außerdem waren Preußen und Bayern nicht länger gewillt, die Federfüh¬
rung in Fragen der besetzten Gebiete alleine den Reichsbehörden zu überlassen,
sondern drängten darauf. Mitspracherechte bei der Verteilung der Gelder zu erhalten
und in die praktische Arbeit einbezogen zu werden411. Die Sitzung des Saaraus-
45 „Dieses Büro, eine wunderliche Mischung aus kulturpolitischer Agentur und Spionageorganisation, war
insbesondere daran interessiert, die Zahl der prodeutschen Propagandisten im Rheinland zu vergrößern
[...]“: HERBERT: Best, S, 70. Vgl. auch: Gärtner, S. 54-62; Wein, S. 97-110.
46 Vgl. Wippermann, S. 202 f., der ebenso wie Reimer (S. 177) die Gründung der RVP fälschlicherweise
als Reaktion auf die Enttarnung Ollmerts darstellt.
47 Vgl. Kaden/ Springer, S. 11-25. Vgl. Denkschrift über die Organisation und Tätigkeit der Bege-Stelle
der RfH (März 1920), in: BA-R 1603/2153; Denkschrift ..Die kulturpolitische Arbeit der Begestelle"
(Juni 1920), in: BA-R 1603/2154.
4S Vgl. „Bericht über den Aufbau der Rheinischen Volkspflege und ihre einzelnen Arbeitszweige“
(21.08.20), in: BA-R 1603/2154; „Vorschlag für die Gesamtarbeit der R.V.P.“ (10.06.20), in: PA AA.
II a Besetztes Rheinland, R 75.205. Siehe auch WlPPERMANN. S. 204-209.
49 Vgl. Wein. S. 106. Bayern schwebte eine am Vorbild der Mannheimer Pfalzzentrale orientierte und
weniger konspirative Organisation als die RVP vor. Die Pfalzzentrale widmete sich während der fünf
Jahre ihres Bestehens) 1919-1924) ähnlichen Aufgaben und Zielen wiederBdS, war aber im Gegensatz
zu diesem eine getarnte Staatsbehörde: Vgl. hierzu: GembrieS, S. 156-195, S. 298-307, S. 327-361,
S. 479-488 und S. 508-518; JACOB, S. 65-68, sowie die entsprechenden Pfalzakten des BayMA und
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