Full text: Volk, Reich und Westgrenze (39)

2. Deutschtumsarbeit an der Westgrenze und 
frühe deutsche Saarforschung 
Die deutsche Wissenschaft nahm sich der Saarfragen erst spät an. Im Gegensatz 
zu Frankreich gab es für Deutschland im Ersten Weltkrieg im Westen nichts 
zurückzuerobern. Zudem ging man bis in den Sommer 1918 davon aus, dass der 
Krieg siegreich und mit Gebietsgewinnen beendet würde.54 1919 waren die 
Selbstanklagen der deutschen Wissenschaft umso heftiger. Man habe versäumt, 
Reichsregierung und Publizistik mit wissenschaftlichem Grundlagenmaterial 
auszurüsten. Stattdessen habe sich der Feind die deutschen wissenschaftlichen 
Arbeiten angeeignet: 
„Wissenschaftliche Arbeit den praktischen politischen Bedürfnissen der Nation 
anzupassen, war für die andern Völker selbstverständlich und geschah daher un¬ 
bewusst. Planmässige Verwendung dieser geistigen Kräfte des deutschen Volkes 
wurde noch niemals versucht; Forschung und politisches Bedürfnis blieben ohne 
Berührung. Der deutsche Gelehrte vernachlässigte daher vielfach die politische 
Wirkung seiner Werke. Wer heute z. B. einen deutschen Atlas aus der Vorkriegszeit 
aufschlägt, mit seiner gedankenlosen Identifizierung von Sprache und Nationalität, 
dem fällt es wie Schuppen von den Augen, und er sagt sich, all diese scheinbar 
objektiven und in Wirklichkeit unwahren - weil undiffenzierten Darstellungen der 
ethnographischen Verhältnisse gaben unseren Feinden Waffen gegen Deutschland 
in die Hand.“55 
Französischer Rheindrang 
Der deutsche publizistische Angriff auf die französischen Wissenschaftsstellun¬ 
gen begann erst, als der Krieg auf militärischem Felde beendet war. Um der fran¬ 
zösischen Propaganda und Wissenschaft auf dem linken Rheinufer zu begegnen, 
ergriff man deren Waffen.^ Die deutsche Seite erkannte zwar die Leistungen der 
französischen Saarforschung an, bezichtigte sie aber dennoch der politischen 
Handlangerschaft:5 Die französische Politik würde von ihr mit den historischen 
Rechtstiteln auf die Rheingrenze ausgestattet, auf die Eroberungslinie, auf die es 
Frankreich seit Jahrhunderten abgesehen habe. Vor dem Ersten Weltkrieg kon¬ 
struierte Fritz Kern (1884-1950) eine übergeschichtliche Ausdehnungspolitik der 
Franzosen, die er aus den „allgemeinen Lebensbedingungen des Volkes, seiner 
geographischen Lage, seinem Charakter, seiner Geschichte“ ableitete. Deutschland, 
54 Schöttler, „Rhein als Konfliktthema“, 51. 
55 PAAA, R60380: [Albrecht Penck, Denkschrift zu den Beratungen zwischen Fachgelehrten, 
Politikern und Vertretern von grenz- und auslandsdeutschen Organisationen in der Gesellschaft 
für Erdkunde in Berlin v. 3.-5.1.1922] „Die nationalpolitische Aufgabe der Wissenschaft“ [2]. 
56 ALVR, 3794: Sante, Denkschrift über die Wissenschaftspflege und Heimatforschung an der 
Saar v. 20.4.1932. Ich danke Frank Becker (Mainz) für die freundliche Erlaubnis, seine 
Unterlagen aus dem ALVR benutzen zu dürfen, und für seine hilfreichen Verbesserungen. 
57 Schöttler, „Rhein als Konfliktthema“, 52; cf. BayHStA, MA 108204: Overbeck, „Saar-Atlas“ 
[1,3] würdigte die SapS. 
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