Full text: Volk, Reich und Westgrenze

die auf rassenbiologische Merkmale der Saarländer abhöben, habe die französische 
Wissenschaft nicht nötig, deklamierte Herly, um im selben Satz zu behaupten, 
ebensolche physischen Vergleiche wiesen mehr Ähnlichkeit der Saarländer mit 
den Ostfranzosen, den Lothringern, auf als mit den Germanen. Landschaftlich 
tendiere das Saargebiet ebenfalls nach Lothringen. Den Weg historischer Argu¬ 
mente zur saarländischen territorialen Zugehörigkeit hielt Herly für abschüssig, 
da die geschichtlichen Staats- und Grenzveränderungen unabsehbare Ansprüche 
zeitigten. Dennoch müsse er diesen Pfad beschreiten, um deutsche Darstellungen 
zu entkräften. Deutsche Historiker bezögen sich auf das Jahr 925 als das Jahr der 
Vereinigung der Saarlande mit dem Reich, womit Herly auf die Feier einer 
tausendjährigen Zugehörigkeit der Rheinlande zu Deutschland 1925 anspielte. 
Herly erinnerte sich mit Schaudern des propagandistischen Erfolges der Jahr¬ 
tausendinszenierung,37 bei der schon alle Elemente - und viele Personen - der 
antifranzösischen Kulturabwehr der 1930-er Jahre vorhanden waren. Nationale 
Theaterstücke wurden uraufgeführt. Literarische und wissenschaftliche Werke zur 
deutschen Geschichte der Rheinlande wurden verfasst, wie der von Aloys Schulte 
herausgegebene Festband Tausend Jahre deutscher Geschichte und deutscher 
Kultur am Rhein.'* Eine vom Düsseldorfer Stadtarchivar und späterem Leiter des 
Wissenschaftlichen Instituts der Elsass-Lothringer im Reich, des so genannten 
Elsass-Lothringen-Instituts (ELI), Professor Paul Wentzcke angeregte zentrale 
Ausstellung in Köln, zu der das IGL mit zahlreichen Karten beitrug,39 vollendete 
die Mythenkonstruktion. Die Jahrtausendfeier raubte der französischen Kultur¬ 
propaganda jeglichen Mut und leitete das deutsche kulturpolitische Rollback ein. 
Die Deutschen nutzten die 1925 errichtete Struktur nationalistischer Deklamation 
und reproduzierten die Form der Jahrtausendfeier bei jedem Anlass, in der 
„Befreiungsnacht“ bei der Räumung des Rheinlandes durch die alliierten Truppen 
1930, bei der Saarrückgliederung 1935 und bei der Remilitarisierung des 
Rheinlandes 1936.40 
7 [Herly] Perdrons-nous, 89-101; cf. Ludwig Linsmayer, „Kulturnationale Feiern“, Saar¬ 
ländische Geschichte: Eine Anthologie, Hg. Richard van Dülmen, Reinhard Klimmt, Saarland 
Bibliothek, Bd. 10 (St. Ingbert: Röhrig, 1995), 273-83, hier 273. 
'K Franz Steinbach, der spätere Leiter des IGL und der WFG, steuerte drei Artikel bei: „Die 
rheinischen Agrarverhältnisse bis zum 12. Jahrhundert“, „Die Veränderungen der Agrar¬ 
verhältnisse vom 12. bis ins 18. Jahrhundert“, „Die Veränderungen der Agrarverhältnisse im 
18. Jahrhundert unter der Fremdherrschaft und im 19. Jahrhundert“, Tausend Jahre deutscher 
Geschichte und deutscher Kultur am Rhein, Bearb. Max Braubach [et al.] i. A. d. Provinzial¬ 
ausschusses der Rheinprovinz, Hg. Aloys Schulte (Düsseldorf: Schwann, 1925), 67-76, 163-73, 
454-63. 
’9 Nikolay-Panter, „Geschichte“, 245-46, cf. 257-58. 
BayHStA, MK 15551: Bassermann-Jordan, Pfeiffer, 11. Sitzung der PGFW v. 24.6.1931; 
Gertrude Cepl-Kaufmann, „1000 Jahre Inkorporation Lothringens ins Reich: Zur politischen 
und ästhetischen Signalfunktion der Jahrtausendfeiern (1925) im Rheinland als Abwehrstra¬ 
tegie zur drohenden Grenzverschiebung“, Vortrag auf dem Symposium „Grenzverschiebungen: 
Déplacements de frontières“ des Interdisziplinären Forschungsschwerpunktes der Philosophi- 
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