Nichtsdestoweniger wollten beide Seiten methodisch aus den gegnerischen Erfolgen
lernen. Sante imitierte das französische Vorbild einer Forschung in propagan¬
distischer Absicht und machte die Wissenschaft zum Vasallen der Politik.3 Auf
der anderen Seite appellierte Lucien Febvre nach dem Erscheinen des Saar-Atlasses
an seine Kollegen, eine vergleichbare Feistung zu vollbringen.4 Der deutsch¬
französische wissenschaftliche und publizistische Methodentransfer wurde selbst
in der schärfsten Auseinandersetzung fortgefuhrtf Nach 1935 war dies kaum
mehr der Fall. Im Gau Saarpfalz nahm man nicht einmal mehr Notiz von französi¬
schen Forschungen und im Gau Westmark wurde ab 1940 jegliche französische
Erinnerung gelöscht; nur im Stillen durfte die deutsche Westforschung in der
Metzer Westraumbibliothek französische Literatur auswerten.
Schon Mitte der 1920-er Jahre trat Frankreich den inneren Rückzug vom Rhein
an. Den Sieg in der Saarabstimmung in der Tasche, schlugen ab 1934 die deutschen
Erwartungen hoch. Die wissenschaftliche Volkstumsarbeit zur Grenzsicherung
suchte sich neue Objekte außerhalb der vom Versailler Friedensvertrag und von
außenpolitischen Rücksichtnahmen gesetzten Beschränkungen und erinnerte sich
Elsass-Lothringens, das erst vor eineinhalb Jahrzehnten verloren gegangen war.
Hier versuchte man zu wiederholen, was man an Ruhr, Rhein und Saar schon
geschafft hatte: die weitere Zurückdrängung des französischen Feindes. Die
Rückgliederung des Saargebietes bot die besten Voraussetzungen für eine deutsche
kulturelle Hegemonie über das französische Land hinter der Grenze. Über die
moralische Stärkung, kulturelle Sicherung und materielle Unterstützung des
Deutschtums der verlorenen Reichslandbezirke trug man wohlwissend zur politi¬
schen Desintegration Elsass-Lothringens aus dem französischen Staatskörper bei.
Ihre persönliche wissenschaftliche Laufbahn suchten die noch nicht etablierten
Saarforscher mit der nationalpolitischen Dynamik des Saarkampfes zu verbinden,
auf die eine breit angelegte kulturelle Offensive im deutschen Westen in Form
eines Saarbrücker Grenzlandinstituts folgen sollte. Überraschenderweise versperrte
den aufstrebenden westmärkischen Wissenschaftlern ausgerechnet die national¬
sozialistische Politik den Weg. Den Schritt über die Grenze nach Elsass-Lothringen
ging Hitlers Außenpolitik 1935 (noch) nicht mit. Erstens durften deutsche
Begehrlichkeiten im Westen nicht offen zu Tage treten, schon gar nicht durch den
Umzug des revisionistischen Wissenschaftlichen Instituts der Elsass-Lothringer
im Reich an der Universität Frankfurt a. M. nach Saarbrücken. Zweitens verzichtete
die Gauleitung und ihre Wissenschaftsverwaltung freiwillig auf die wichtigsten
SFG-Forscher, um in jeder Weise von äußeren Einflüssen personell und inhaltlich
' BayHStA, MA 108204: Sante, „Französische Propaganda“, 5-7.
4 Febvre, „Cartographie régionale allemande“, 139-41.
5 Peter Schöttler, „Das ,Annales-Paradigmal und die deutsche Historiographie (1929-1939):
Ein deutsch-französischer Wissenschaftstransfer?“ Nationale Grenzen und internationaler Aus¬
tausch: Studien zum Kultur- und Wissenschaftstransfer in Europa, Hg. Lothar Jordan, Bernd
Kortländer, Communicatio, 10 (Tübingen: Niemeyer, 1995), 200-20.
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