habe, so trage das Deutsche Reich im 19. Jahrhundert germanisch-deutsche Kultur
in die Gebiete romanisch-französischer civilisation. Mit „Westmark“ knüpfte man
historisch romantisierend an die verehrte Reichstradition der Karolinger und
Ottonen an. Gleichzeitig klang in der archaisierenden Wortschöpfung die krie¬
gerische Auseinandersetzung mit dem fremden Feind an. Wie kein zweites Wort
symbolisierte „Mark“ Kampf an der Grenze, Opfermut auf vorgeschobenem Posten.
Der pfälzische Gaukulturwart Kurt Kölsch bekannte zwei Generationen später:
„Westmark! Das Wort hat mythischen, heldenhaften Klang“, und schwärmte vom
„Zauber des Mittelalters“ und der „Herrlichkeit des ersten Reiches“.110
Wie sein östlicher Vetter war der neue Begriff im Kaiserreich hoffähig geworden.
1879 erzählte Heinrich von Treitschke von preußischen Versuchen, sich 1792
über den Rhein hinauszuschieben. Preußische Politiker verlangten als Kriegsbeute
die Rheinprovinz für Preußen und das Eisass für Pfalzbayern: „Sie faßten also die
Wiedereroberung der deutschen Westmark ins Auge „Wiedereroberung“
wollte besagen, dass die einst dem Heiligen Römischen Reich zugehörigen, nun
französischen Gebiete (zu Treitschkes Zeiten: die preußische Wacht am Rhein der
auf die Niederlage Napoleons I. folgenden Jahre plus dem Reichsland Eisass-
Lothringen nach dem Sieg über Napoleon III.) zur deutschen Nation zurückkeh¬
ren sollten. Ein doppelter Herrschaftswechsel bestimmte Treitschkes Definition:
Die Westmark seien jene Territorien, die erst deutschen Herrschern, dann Frank¬
reich untertänig gewesen seien und also von Deutschland wiedererobert werden
müssten. Der politische Gegenwartsbezug von Treitschkes „Westmark“ ist - acht
Jahre nach ihrer „Wiedereroberung“ - augenfällig.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts treffen wir noch einige Male auf den Westmark-
Begriff. Wir finden ihn 1889 als Untertitel zu Hermann Ludwig von Jan, Deutsche
Kaiser und Könige in Straßburg: Blätter aus der Geschichte der Westmark des
Reichs."2 Die Metzer Zeitung sprach 1893 anlässlich des Kaiserbesuches von „der
elsaß-lothringischen Westmark“."' 1900 benutzte ihn der Historiker Hermann
110 Kurt Kölsch, „Die kulturelle Sendung der Westmark“, Schöpferische Westmark: Reden,
Aufsätze, Gedichte, in Zsarb. mit der Deutschen Arbeitsfront N.G. „Kraft durch Freude“ Gau¬
dienststelle Saarpfalz, Geleitw. Wilhelm Westecker, Vom Rhein zur Saar (Neustadt, Wstr.:
Westmark-Verl., 1940), 7-12, hier 7.
111 Heinrich von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, T. 1: Bis zum
zweiten Pariser Frieden, Staatengeschichte der neuesten Zeit, 24 (Leipzig: Hirzel, 1879), 125-
26, Zitat 126; cf. „Westmark“, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch von
Jacob und Wilhelm Grimm, Nachdr. 1960 (München: dtv, 1991), 29: 648; cf. Michael
Jeismann, Das Vaterland der Feinde: Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständ¬
nis in Deutschland und Frankreich 1792-1918, Sprache und Geschichte, 19 (Stuttgart: Klett-
Cotta, 1991), 266-67.
112 Hermann Ludwig [von Jan], Deutsche Kaiser und Könige in Straßburg: Blätter aus der
Geschichte der Westmark des Reichs (Straßburg: Schmidts Univ.-Buchhandl., 1889).
113 Metzer Zeitung (3.9.1893); zit. nach Hans-Jürgen Lüsebrink, „Grenzziehung in den Köpfen:
Nationalismus in Druckschriften des saarländisch-lothringischen Raumes (1815-1919)“, Grenzen¬
los: Lebenswelten in der deutsch-französischen Region an Saar und Mosel seit 1840: Katalog zur
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