Lorraine, das Tal der Meurthe und die Vogesen bis zum westlichen Fuß des
Gebirges ans Deutsche Reich angegliedert werden. Im Norden waren das Gebiet
der Sambre, Schelde, Scarpe, Lys und Canche, das Maastal mit seinen westlichen
und östlichen Vorbergen, im Süden das Flussgebiet der Saône und des Doubs
zwischen den Vogesen und den Monts Faucilles, dem Plateau von Langres und
dem Jura zur Annexion ausgeschrieben. Nach Südwesten hin war der Grenz¬
verlauf in Richtung Rhone offen gelassen. Dieser Westplan beinhaltete die
Umsiedlung von etwa fünf Millionen Menschen. Zur selben Zeit sperrte die
Wehrmacht das fragliche Gebiet östlich der Linie Somme-Aisne-Marne gegen
jegliche Rückwanderung aus dem Westen Frankreichs ab; bis Ende 1941 wurde
diese „Nordostlinie“ oder „Führer-Linie“ genannte Grenze fast ebenso gut
bewacht, wie die Demarkationslinie zwischen dem besetzten und unbesetzten
Frankreich.'0 Gauleiter Bürckel begehrte Verdun, Toul und Nancy, das er zum
Sitz eines Regierungspräsidenten machen wollte/1 für seinen Gau, um den „Sieg
im Westen“ mit der „Wiedergewinnung der gesamten ehemals zum Deutschen
Reiche gehörenden Gebiete, insbesondere der Wiederherstellung des Gebietszu¬
standes vom Jahre 870 und 879 (Verträge von Mersen und Verdun-Ribemont)“ zu
krönen. Sollte die Reichsgrenze nicht bis an die Maas vorgeschoben werden
können, so erwartete der Gauleiter wenigstens das Industriegebiet zwischen
Longwy und Briey zu erbeuten."2
Die deutschen Wissenschaften waren auf die territoriale Expansion"’ und die
politischen Wünsche nach diesbezüglichem Grundlagenmaterial vorbereitet. 1940
stand für die deutsche Westforschung die Tatsache einer großzügigen Westexpan¬
sion des Reiches fest. In gleicher Weise gingen die Vorstellungen von Friedrich
Metz weit über das ehemalige Reichsland hinaus. Der Leiter der WFG reichte
Stuckart im Juni 1940 ein Gutachten zur künftigen Westgrenzziehung und zur
politischen „Neugestaltung des Raumes Lothringen-Oberrhein-Burgund-Schweiz“
ein. Den Westen Frankreichs gedachte er Deutschland zuzuschlagen und in die
"°Schöttler, „,Generalplan West“1, 85; id., „La ,Westforschung1 allemande: De la défensive à
l’offensive territoriale“, Vortrag auf dem „Colloque sur les Reichsuniversitäten de Strasbourg
et de Poznan (1941-1944)“, Strasbourg, Palais universitaire, 25.3.2004, 15.45-16.30 Uhr; Jean-
Pierre Harbulot, „La Région de Nancy: En zone interdite11, Bretagne et identités régionales
pendant la Seconde Guerre mondiale: Actes du Colloque international (15-17 novembre 2001),
dir. Christian Bougeard (Brest: Ctre de Recherche Bretonne et Celtique, 2002), 62-75, hier 67-
68; cf. PAAA, BA61120 (R901/61120), f. 16-17: Rintelen an Reichsaußenminister v.
23.6.1940, f. 11-12: Rintelen, Aktennotiz v. 1.7.1940; Hans Umbreit, Der Militärbefehlshaber
in Frankreich (1940-1944), Wehrwissenschaftliche Forschungen, Abt.: Militärgeschichtliche
Studien, 7 (Boppard, Rh.: Boldt [1968]), 72-77.
51 Bürckel an Hitler v. 15.6.1940; zit. nach Vautours sur la Lorraine: Documents inédits sur
l’occupation nazie de la Lorraine 1940 à 1944, rassemblés et commentés par Jules Annéser
(Metz: Le Lorrain, 1948), 18.
"2 PAAA, R105123, f. E207928: Bürckel, Fragen gegenüber Frankreich v. Okt. 1941, 2.
Schon seit den 1870-er Jahren stellten deutsche Gelehrte, wie der Nationalökonom Adolph
Wagner, Überlegungen zu einer „Rückgewinnung“ der Niederlande und der Schweiz an;
Haubrichs, „Krieg der Professoren“, 221, 225.
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