III. Die Wissenschaften der Westmark im Krieg 1940-1945
Nach der faktischen Annexion der Moselle an Deutschland und den Gau Bürckels
1940 ließen die Nationalsozialisten französische wissenschaftliche Ansätze ver¬
folgen und ihre Repräsentanten vertreiben. Zur Unterstützung der Germanisie-
rungsmaßnahmen schuf der neue Chef der Zivilverwaltung in Lothringen (CdZ)
Bürckel in Metz neue wissenschaftliche Einrichtungen: das Lothringische Institut
für Landes- und Volksforschung und eine Zweigstelle der Mittelstelle Westmark
„Landsleute drinnen und draußen“. Aus dem in der Moselle geraubten Buchbe¬
stand wurde in Metz eine große, wissenschaftliche Bibliothek aufgebaut. Andere
wissenschaftliche Einrichtungen, wie das Archiv oder das Museum, wurden unter
deutscher Verwaltung weitergeführt, ln verschiedenem Maße beteiligten sich alle
diese Institutionen von 1940 bis 1944 an der deutschen Annexions-, Vertreibungs¬
und Rassenpolitik in Lothringen.
1. Lothringenforschung bis zur Annexion der Moselle
Regionalforschung vor 1940
1918 war Elsass-Lothringen nach fast 50 Jahren beim Deutschen Reich zu
Frankreich zurückgekehrt. Staatliche commissions de triage entschieden über den
staatsbürgerlichen Status und die Rechte jedes Einwohners des ehemaligen
Reichslandes.1 Viele eingewanderte reichsdeutsche Beamte wurden ausgewiesen
und ihre Posten oft mit Franzosen aus dem Westen besetzt. Doch ließen sich die
politischen, sozialen und sprachlichen Verhältnisse in den wiedergewonnenen
Departements nach so langer Trennung nicht ohne weiteres an den französischen
Standard angleichen. Als die Elsass-Lothringer 1924/25 fürchten mussten, dass
die französische Regierung ihnen die 1918 zugestandenen schulischen und
konfessionellen Sonderrechte entziehen würde, fand die von Deutschland massiv
unterstützte autonomistische „Heimatrechtsbewegung“ Zulauf.2
1 Philippe] Schillingen, „Metz, de l’Allemagne à la France“, Annuaire de la Société d'Histoire
et d'Archéologie de la Lorraine, 74 (1974), 123-31, hier 130; ich danke Herrn Charles Hiegel
(Metz) für den freundlichen Hinweis auf diesen Artikel, für die Erlaubnis, die Korrespondenz
seines Vaters auszuwerten und die vielen Stunden, die ich mit ihm über die Annexion der
Moselle 1940-44 diskutieren durfte.
' Stephen L. Harp, Learning to Be Loyal: Primary Schooling as Nation Building in Alsace and
Lorraine, ¡850-1940 (DeKalb, IL: Northern Illinois UP, 1998), 192-94; Frédéric Hartweg,
„Precarious Language Rights under Changing Governments: The Case of Alsace, 1850-1940“,
Ethnic Groups and Language Rights, ed. Sergij Vilfan, collab. Gudmund Sandvik, Lode Wils,
Comparative Studies on Governments and Non-Dominant Ethnic Groups in Europe, 1850-
1940, 3 (Aldershot: Dartmouth/New York: New York UP, 1993), 37-64, hier 56-62; cf.
Georges Philippot, „Gendarmerie et identité nationale en Alsace et Lorraine après 1918“,
Revue historique des Armées (1998), n° 4, 61-78; Philip Charles Farwell Bankwitz, Alsatian
Autonomist Leaders 1919-1947 (Lawrence, KS: Regents Press of Kansas, 1978), 11-16. Karl-
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