Sprache und Bräuche über ein Jahrhundert in fremder Umgebung halten konnten,
galt als Beweis für die Stärke deutschen Volkstums.
Für die Interessen des Grenz- und Auslandsdeutschtums setzte sich der Verein für
das Deutschtum im Ausland (VDA) ein. Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte
er, finanziert durch Reichsregierung und private Spenden, den Aufbau einer deut¬
schen Irredenta in den durch die Pariser Vorortsverträge vom Deutschen Reich
und von Österreich abgetrennten Gebieten und propagierte die Ideen vom deut¬
schen Volksboden und von der Klassen- und Staatsgrenzen transzendierenden
Volksgemeinschaft aller Deutschen. Er forderte die kulturelle Autonomie und das
Selbstbestimmungsrecht der deutschen Minderheiten, den Anschluss Österreichs
an das Deutsche Reich und eine deutsche Hegemonie über Mitteleuropa. 1933
wurde der VDA in das nationalsozialistische Herrschaftssystem eingegliedert.
Mitte der 1930-er Jahre weigerte sich seine Führung, für die außenpolitischen
Winkelzüge Hitlers den deutschen Anspruch auf Südtirol aufzugeben. Nach der
Beurlaubung Steinachers 1937 griffen die SS und deren Volksdeutsche Mittel¬
stelle (VoMi) immer stärker auf den VDA zu. Im Zweiten Weltkrieg führten VDA
und SS in den eroberten Gebieten gemeinsam die Erfassung der Volksdeutschen
und „Fremdvölkischen“ und deren Umsiedlung bzw. Vertreibung durch.49*
Auswanderergeschichtsschreibung und -kontaktpflege* 499 500 erfüllten im Nationalso¬
zialismus mehrere politische Funktionen. Außenpolitisch banden sie die Deutsch¬
stämmigen durch Familien-, Ahnen- und Sippenforschung, durch soziale Kontakte
und politische Propaganda an das Deutsche Reich und dessen faschistische Füh¬
rung, wobei durch die Forschungsarbeit der Kreis der Stammes- und volksmäßig
angeschlossenen Auswanderemachfahren ständig wuchs. Sippenkunde wurde
zum Mittel, „die durch fremdnationale Erziehung ihrem Volkstum entgleitenden
oder entglittenen Persönlichkeiten ihrem Volkstum zurückzugewinnen“.Ml(1 Alle
49x Poßekel, „VDA“, 4: 282-97; Steinacher, Bundesleiter, 120-21, 449-51; Hans-Adolf
Jacobsen, „Hans Steinacher: Eine biographische Skizze“, Hans Steinacher, Bundesleiter des
VDA 1933-1937: Erinnerungen und Dokumente, Hg. Hans-Adolf Jacobsen, Schriften des Bun¬
desarchivs, 19 (Boppard, Rh.: Boldt, 1970), xi-xxxiii konnte sich nicht immer der Faszination
für Steinacher entziehen.
499 Die NS-Auswanderungsforschung ist erst von sehr wenigen Historikern kritisch analysiert
worden; über die Zusammenarbeit regionaler sippenkundlicher Vereine mit dem NS-Regime ist
fast nichts bekannt. Diana Schuhe, Das Reichssippenamt: Eine Institution nationalsozialis¬
tischer Rassenpolitik. (Berlin: Logos, 2001), 304 nannte für den Gau Westmark einzig die
Existenz eines Gausippenamtes in Saarbrücken; cf. Wolfgang Ribbe, „Genealogie und Zeit¬
geschichte: Studien zur Institutionalisierung der nationalsozialistischen Arierpolitik“, Herold-
Jahrbuch NF, 3 (1998), 73-108, hier 94. Für diese Hinweise und die Übermittlung einiger
Fotokopien danke ich Frau Katharina Hering. Bei Helmut Schmahl, Verpflanzt, aber nicht ent¬
wurzelt: Die Auswanderung aus Hessen-Darmstadt (Provinz Rheinhessen) nach Wisconsin im
19. Jahrhundert, Mainzer Studien zur Neueren Geschichte, 1 (Frankfurt, M.: Lang, 2000), 19
fand sich nur ein Hinweis auf ideologische Instrumentalisierung.
500 Zit. nach Emst Ritter, Das Deutsche Ausland-Institut in Stuttgart 1917-1945: Ein Beispiel
deutscher Volkstumsarbeit zwischen den Weltkriegen, Franfurter Historische Abhandlungen, 14
(Wiesbaden: Steiner, 1976), 85.
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