Gesamtdeutschland“.1"" Das Machtwort des Gauleiters zwängte die regionale
Heimatforschung in die braune Uniform.153 154
Vor den Gefahren lokaler Verengung, aber auch überheblicher Verallgemeinerun¬
gen warnte Raumer. Es genüge nicht, dass sich Pfälzer und Saarländer lokal¬
patriotisch als das ewige Opfer Frankreichs selbst bemitleideten. Ihre eigene Ge¬
schichte müsse ebenfalls als stolzer Anteil an der Geschichte des Reiches und am
Schicksal des gesamten deutschen Volkes gelesen werden. Doch darin erschöpfe
sie sich nicht: „Saarpfalzgeschichte ist nicht Reichsgeschichte, sondern sie hat
einen Zug zum Reich. Saarpfalzgeschichte ist nicht Grenzgeschichte, sondern die
Grenzlandentwicklung ist ihr Schicksal, ohne das man sie nicht verstehen kann.“
Im Rückgriff auf die Westmarkideologie stellte Raumer die Region als den Hüter
und Wahrer der Reichsidee und den Wächter an der Reichsgrenze gegen Westen
dar.1"' Die neuen, in der Geschichtswissenschaft noch kaum gewohnten völki¬
schen Elemente glich Raumer über die Machtstaatsidee der traditionalistischen
Auffassung an.156
Nicht die Pfalz an sich wurde aus dem Schaffen der gleichgeschalteten PGFW
getilgt, sondern ihre Regionalgeschichte. Die pfälzischen Bezüge zum größeren
Ganzen, zum Reich wurden dagegen hervorgehoben. Die Nationalsozialisten
zwangen lokale Identitäten unter das Joch der Reichsidee. Aber Bürckel strebte
zugleich die Refeudalisierung regionaler Verwaltung und die Verselbständigung
seiner Herrschaft an.157 Für seine territorialen Anschlüsse benötigte er sehr wohl
eine ortsgebundene Ideologie. Der Westmark-Mythos sollte seinen Untertanen die
Identifikation mit seinem Gau erleichtern.1"'8
Auch das Gemeinschaftsprojekt der Pfälzischen Biographie spann Fäden aus der
Grenzregion ins Reich. Das Unternehmen war von Reismüller und Oberstudien¬
direktor Eid in den 1920-er Jahren im Auftrag der PGFW begonnen worden.
Einer der Mitarbeiter war Emrich gewesen.159 Der Tod Eids, die Berufung Reis¬
müllers an die Bayerische Staatsbibliothek und die Sparmaßnahmen Anfang der
153 HMP, G/lnstitutssitzungen: 1. Th., „Politische Grundlagen des Heimatgedankens: Alles für
das Volk: Gründung des Arbeitskreises Saarbrücken des Saarpfälzischen Instituts für Landes¬
und Volksforschung“, NSZ-Rheinfront ( 1.3.1939).
154 HMP, G/Institutssitzungen: H[ermann] Emrich, „Das Saarpfälzische Institut für Landes¬
und Volksforschung: Aufgabe und Arbeit“ (Kaiserslautern: [Spi, 1938]) [8].
155 Kurt von Raumer, Der politische Sinn der Landesgeschichte: Vortrag, gehalten im Saar¬
pfälzischen Institut für Landes- und Volksforschung in Kaiserslautern am 27. August 1938,
Beihefte zu den Saarpfälzischen Abhandlungen zur Landes- und Volksforschung, 1 (Kaisers¬
lautern: PGFW, 1938), 29; cf. Applegate, Nation, 219-20.
16 Raumer, Der politische Sinn, 20-21; Schönwälder, Historiker und Politik, 112; cf. Jansen,
„Hochschule“, 213. Schaab, „Landesgeschichte“, 189 übersah den aktuell politischen Hinter¬
grund der Regionalgeschichte Räumers.
157 Peter Hüttenberger, Die Gauleiter: Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP,
Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Nr. 19 (Stuttgart: DVA, 1969), 138-51.
"8 BayHStA, MK 15552: Arbeitssitzung d. ordenti. Mitglieder d. PGFW am 24.3.1934.
159 Schreiber, ,„Ptalzer Febensbilder“‘, 81.
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