von München vernachlässigt oder übervorteilt zu werden, und der Wunsch nach
größerer kultureller Autonomie.86 Mit der BVP aber war die PGFW in auffälliger
Weise nicht verbunden. Emrich benutzte die BVP als Statthalterin aller Parteien
des so genannten Weimarer Systems und attackierte sie als Verteidigerin der
bayerischen territorialen Integrität. Als solche war sie dem Unabhängigkeitsstre¬
ben der pfälzischen Nationalsozialisten hinderlich. Emrich kam zupass, dass der
Gegner, auf den er eintrat, schon am Boden lag, denn Himmlers Bayerische
Politische Polizei hatte wenige Tage zuvor einen brutalen Schlag gegen die BVP
ausgeführt und über 1900 ihrer Funktionäre verhaftet.87
Gerade hatte Emrich die PGFW noch des Bavarozentrismus bezichtigt, da warf er
ihr vor, sie habe sich auf wissenschaftliche Beiträge aus dem Gebiet der Pfalz¬
kunde beschränkt. „Pfalzkunde“ aber habe ausgedient. Keine einzige ihrer Publi¬
kationen habe „bestimmend auf das gesamtvölkische Geistesleben der Westmark
eingewirkt“. Ihre Vorarbeiten, Chroniken, Inventarisationen, Stoffsammlungen
bibliographischen und biographischen Inhalts, an denen Emrich immerhin selbst
mitgearbeitet hatte, ließen Jede großzügige wissenschaftliche Zusammenschau
vermissen“. Die pfälzische Wissenschaft müsse sich dem gesamtdeutschen
wissenschaftlichen und geistigen Leben öffnen, um sich aus ihrer Vereinzelung zu
befreien und allgemeine Forschungsaspekte zu entwickeln. Tatsächlich aber
wurde von den gleichgeschalteten pfälzischen Wissenschaften ein ernsthafter
Austausch mit den Wissenschaften in den anderen Teilen des Reiches außer mit
denen des zum Anschluss bestimmten Saargebietes nie gesucht. Künftige Ver¬
öffentlichungen der PGFW sollten „Äußerungen der Westmark als eines organisch
in das Reichsganze eingefügten Gliedes“ sein. Emrich schwebte eine neue Form
von Regionalforschung vor, die lokale Interessen mit dem politischen Willen des
Reichsganzen aussöhnen und die Westgrenze geistig für ganz Deutschland verteidi¬
gen solle: eine westmärkische Wissenschaft zur Legitimation der Reichsunmittel¬
barkeit und der partikularen Rechte des Grenzgaues und seines Gauleiters. Dazu
zog Emrich häufig den Westmark-Begriff heran.
Weltanschauung
Neben den Mangel an Ganzheit, fuhr Emrich fort, sei in der PGFW ein Mangel an
Führung getreten. Abteilungen und Mitarbeiter seien sich selber überlassen
gewesen. Die vom Philosophen Emrich besonders getadelte Missachtung von
86 BayHStA, MA 107932: Matt an BayFM v. 21.11.1924; Hans Fenske, „Mehr als eine Pro¬
vinz ...: Die Pfalz in der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“, Mitteilungen des
Historischen Vereins der Pfalz, 86 (1988), 347-64, hier 352-57; Applegate, Nation, 134.
8 Meinzer, „Pfalz wird braun“, 56; cf. Benno Hubensteiner, Bayerische Geschichte: Staat und
Volk, Kunst und Kultur, 12. Aufl. (München: Süddt. Verl., 1992), 479; cf. Falk Wiesemann,
Die Vorgeschichte der nationalsozialistischen Machtübernahme in Bayern 1932/33, Beiträge
zu einer historischen Strukturanalyse Bayerns im Industriezeitalter, 12 (Berlin: Duncker &
Humblot, 1975), 22-25.
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