Eher als gering einzuschätzen ist dagegen die Bedeutung des föderalen Ausgleichs¬
und Verteilungssystems für staatliche, insbesondere finanzielle Ressourcen; dies
zeigen bereits die umfangreichen, aber in ihrer Gesamtwirkung nicht ausreichenden
Finanztransfers zugunsten des Saarlandes während der Übergangszeit. Die seit den
frühen 50er Jahren nahtlos fortbestehenden Finanzierungslücken im Landeshaushalt
führten in eine strukturelle Unterfinanzierung. Daraus resultierte eine gravierende
Benachteiligung gegenüber wachstumsstärkeren Regionen, deren Ausgleich trotz
komplizierter Berechnungsverfahren und punktueller Sonderleistungen nicht erfolgte.
Als bedeutender ist die im föderalen Finanzsystem der Bundesrepublik angelegte
Möglichkeit anzusehen, aktuell unbeherrschbare Probleme durch das Instrument der
Verschuldung auf die Zukunft zu verlagern. Dies betraf das Land, das trotz seines
Rückstands bei den Steuereinnahmen einen Teil der notwendigen Investitionen vor
allem in die Infrastruktur per Kreditaufnahme ermöglichen konnte - auch wenn
andere Länder ohne eine derart massive Verschuldung auskamen. Dies betraf aber
auch die Kommunen, die besonders im Bildungsbereich einen Großteil der Last bei
der Bewältigung älterer Phasen struktureller Veränderung zu tragen hatten. Am
stärksten zu gewichten ist jedoch die Funktion des Föderalismus, regionale Konflikte
tendenziell hoher politischer Sprengkraft auf das Niveau von Verteilungskonflikten
zu deeskalieren. Die finanzpolitische Teilautonomie bildete eine wichtige Grundlage
der Selbstbindungskompetenz der Länder, die regionale Probleme in der Bundesre¬
publik gesellschaftlich beherrschbar macht. Nicht zuletzt dadurch konnten zen¬
trifugale Tendenzen, die eine in der Öffentlichkeit stark perzipierte Begleiterschei¬
nung regionaler Verarbeitung struktureller Veränderungen in anderen Staaten Euro¬
pas bildeten, weitgehend verhindert werden.
Die Selbstbindungskompetenz wurde weiter gestärkt durch die Planungsfähigkeit der
Länder als regionale Einheiten. Die Bedeutungsveränderung des primären und se¬
kundären Sektors, und hier insbesondere des Steinkohlenbergbaus, traf die Region
mehr oder minder schlagartig, weil weitgehend unvorbereitet. Das föderale System
führte zu einer recht intensiven und auch differenzierten Aufarbeitung dieser Trends
als regionale Probleme. Die konzeptionelle Auseinandersetzung über „Umstrukturie¬
rung41 und „Auflockerung der Industriestruktur“ stand im Saarland im Zentrum dieser
Aufarbeitung. Besonders bei dieser Diskussion wurden auch die vielfältigen Span¬
nungslinien zwischen neuer Politik, älteren Problemlösungsmustern, national vor¬
strukturierten politischen Verfahren und auf nationaler Ebene vorgegebenen Grund¬
satzentscheidungen sichtbar. Die Selbstbindungskompetenz der Landespolitik er¬
möglichte es, regionalspezifische Lösungen zu entwerfen, die teilweise in Konkurrenz
zu nationalen Ansätzen standen oder darüber hinausgingen. Am deutlichsten trat dies
bei der durch die Übernahme des Generalplans als regionalpolitisches Entwicklungs¬
konzept ausgelösten Umformung der Saarbergwerke zur regionalen Modernisierungs¬
agentur zutage. Auch die Betonung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als
wichtigem Potential regionaler Entwicklung im Saarland ist hier zu nennen.
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