Zusammenfassung
Der 23. Oktober 1955 markierte mit der Ablehnung des europäischen Statuts für das
Saarland einen Endpunkt für denjenigen Teil der Debatten der Nachkriegszeit, der
auf die nationale Zugehörigkeit des Saarlandes und seinen völkerrechtlichen Status
bezogen war. Die Saarfrage war damit jedoch noch lange nicht gelöst. Dieser Schritt
erforderte langwierige deutsch-französische Verhandlungen, die erst ein Jahr später,
am 27. Oktober 1956, mit dem sogenannten Luxemburger Vertrag zum Abschluß
gebracht werden konnten. Der dabei vorzunehmende Ausgleich zwischen bundes¬
deutschen und französischen Interessen in wirtschaftlichen und finanziellen Fragen,
der bereits in den Jahren vor dem Referendum ein wesentliches Hindernis für eine
Einigung dargestellt hatte, erwies sich erwartungsgemäß auch danach als ein zentrales
Problem. Die immer wieder eintretenden Stockungen in den Verhandlungen, die sich
unerwartet lange hinzogen und bis zuletzt immer wieder vom Scheitern bedroht
waren, verdeutlichen dies. Im Vorgriff auf die Ergebnisse der Luxemburger Verhand¬
lungen wurden erste Sofortmaßnahmen im Zusammenhang mit der Eingliederung des
Saarlandes bereits im Jahr 1956 in die Wege geleitet, also deutlich vor der politischen
Eingliederung am 1. Januar 1957. Große Komplikationen ergaben sich jedoch daraus,
daß die Integration des Saarlandes in die Bundesrepublik auch eine fundamentale
Neuordnung der saarländischen Verhältnisse erforderte, die ihrerseits in den fünfziger
Jahren gerade im wirtschaftlichen Bereich zunehmenden Anpassungszwängen unter¬
worfen waren. Präzise Vorarbeiten für diese Neuordnung lagen nach dem Referen¬
dum bei keiner der beteiligten Parteien vor. Vor allem dieser als Ganzes schwer
überschaubare Problemzusammenhang führte zu dem Lösungsansatz, die wirtschaftli¬
che Integration des Saarlandes erst nach einer Übergangszeit vorzunehmen, deren
Ende später auf den 5. Juli 1959 festgeiegt wurde.
Weiche komplizierten Probleme sich daraus ergaben, zeigt sich besonders deutlich im
Bereich des Bergbaus: Zwar änderte sich in organisatorischer Hinsicht zunächst
wenig in der aus dem 19. Jahrhundert stammenden, zentralisierten und seit dem
Zweiten Weltkrieg in einem französisch dominierten Bergbauunternehmen konzen¬
trierten Kohleindustrie. Kaum ein halbes Jahr nach dem Referendum löste jedoch die
Frage, inwiefern französische Zugeständnisse bei der Verteilung der Abbaurechte im
Wamdt-Kohlerevier für die Zukunft des saarländischen Bergbaus relevant sein
würden, eine vor aller Öffentlichkeit und zudem in einem für die Landesregierung
denkbar ungünstigen Moment ausgetragene Diskussion aus. Das Beispiel der Schlie¬
ßung einer Kohlegrube bei St. Ingbert zeigt weiterhin, wie die Phase der Unsicherheit
bis zur im Saarvertrag vorgesehenen Gründung der Saarbergwerke AG als neuer
Rechtsträger des Saarbergbaus einen außerordentlich hohen Koordinierungsaufwand
für die Landespolitik erzeugte, obwohl diese Schließung der Sache nach noch gar
keine Reaktion auf die sich abzeichnende Kohlekrise darstellte, sondern eher in die
Konsolidierungsbemühungen für den Bergbau in der unmittelbaren Nachkriegszeit
einzuordnen war. Als es im dritten Jahr nach dem Referendum dann zur Gründung
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