Full text: Das Saarland im doppelten Strukturwandel 1956 - 1970

und Instrumente,"9 Die in den politischen Debatten vor der Öffentlichkeit noch sehr 
viel weniger deutlich als in den programmatischen Texten vorgenommene Abkehr 
von der Steinkohle als Trägerin der Zukunftshoffnungen zeigt den von dieser Moder¬ 
nisierung der Regionalpolitik ausgehenden Anpassungsdruck. 
Ein weiterer Problembereich der Analyse liegt im Spannungsfeld zwischen All¬ 
zuständigkeit und beschränkter Handlungsfähigkeit von Politik im Bundesland. Der 
noch bis in die Mitte der zweiten Hälfte der 60er Jahre vor allem von CDU-Ver- 
tretern unternommene Versuch, die Teil- und Mitverantwortung der Bundesebene für 
politische Fehlentwicklungen mit Bezug auf das Saarland hervorzuheben, folgte zwar 
teilweise der sachlichen Struktur der zu behandelnden Themen, entsprach aber längst 
nicht mehr den politischen Gegebenheiten. Erstens erwies sich dieser Versuch zu¬ 
mindest so lange als kontraproduktiv, wie auch im Bund die CDU den größeren 
Koalitionspartner stellte, und zweitens konnte angesichts der sich zuspitzenden Krise 
eine allgemeine Verantwortung der Landesregierung für alle Vorgänge im Saarland 
postuliert werden. Der Ministerpräsident griff diese Verantwortung erst recht spät 
auf, münzte dann aber in einem bemerkenswerten Schritt sogar das Zugeständnis von 
Fehlern in der Vergangenheit zum Vorteil der Regierungsparteien um. Dies verdeut¬ 
licht erneut die weit über die verfassungsmäßigen Rechte des Regierungschefs hin¬ 
ausreichende Bedeutung der Ministerpräsidenten als „Landesvater“ im föderalen 
System der Bundesrepublik.119 120 Ein anderer interessanter Aspekt dieses Vorgangs 
besteht darin, daß ausgerechnet der ehemals „prodeutsche“ und phasenweise scharf 
gegen die CVP agierende Franz-Josef Röder die deutsch-französische Zusammen¬ 
arbeit im Grenzraum zum zentralen Element der künftigen regionalen Wachstums¬ 
hoffnungen erhob. 
Gerade an diesem Punkt werden auch Widersprüche in der programmatischen Grund¬ 
lage der neuen Politik im Saarland deutlich: Dem expliziten Bezug zur grenzüber¬ 
schreitenden Zusammenarbeit stand die streng auf administrative und finanzielle 
Aspekte von Regionalpolitik ausgerichtete Konzeption des Aktionsprogramms 
Saar-Westpfalz gegenüber. Dies legt eine Relativierung der Ergebnisse der gegenüber 
dem Föderalismus und seiner Leistungsfähigkeit kritisch eingestellten Teil der For¬ 
schung nahe, der die Rolle der Bundesländer in der Krise negativ bewertet. Fritz W. 
Scharpf ging früh bereits davon aus, daß in den 60er Jahren die ungünstige Ent¬ 
wicklung im Bergbau zunächst von weiten Teilen der Politik als sektorale Krise 
mißverstanden worden sei. Dieser wurde auf dem Höhepunkt der Krise mit territorial 
119 Insofern ist das Saar-Memorandum eher als Abschluß der früheren, zu Anfang der 60er Jahre beginnen¬ 
den Etappe der Modernisierung der Landespolitik anzusehen, anders hierzu: Loth, Vertracktes Gelände, 
S. 119. 
120 Diese ist wohl nicht nur auf die unitaristischen Tendenzen im deutschen Föderalismus und seiner 
Entwicklung zum Exekutivfoderalismus zurückzu führen, wie Steffani, Landesfiirsten, S. 189ff. und 
S. 209ff., betont. Entscheidend ist die formale und organisatorische Generalverantwortung, vgl. Herbert 
Schneider, Ministerpräsidenten. Profil eines politischen Amtes im deutschen Föderalismus, Opladen 
2001, S. 166ff. 
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