Reitel, im Vergleich mit dem Saarland oder dem Ruhrgebiet so „niederschmetternd“
aus, weil das französische politische System die Einrichtung dezentral verwalteter
Einheiten mit eigenen finanziellen Mitteln, z.B. als „Agglomerationsbudget“, schon
rein rechtlich ausschließe.58
/. 1.2 Die regionale Wirtschaftskrise im Saarland
Diese vergleichsweise positive Bewertung der regionalpolitischen Verarbeitung
struktureller Veränderungen im Saarland anhand der Fakten der regionalökono¬
mischen Entwicklung nachzuvollziehen fallt aber bereits aus methodischen Gründen
schwer. Da im Saarland nur für die Industrie eine regelmäßige und regional differen¬
zierte Beriehterstattung vorgenommen wurde, ist die Datenlage nur für diesen Be¬
reich einigermaßen lückenlos und vor allem ausreichend differenziert. Daher muß die
ökonomische Entwicklung des Bundeslandes weitgehend aus der Entwicklung der
industriellen Wirtschaftsbereiche erklärt werden; alle anderen Bereiche des Wirt¬
schaftslebens - Handel, Handwerk, aber auch der Öffentliche Dienst - können quasi
nur in einer Art „Zuschlagverfahren“ berücksichtigt werden."' Zwar ist diese Vor¬
gehensweise für das Saarland mit seinem weit überdurchschnittlichen Anteil der
Industrie an der regionalen Wirtschaft, der sich nicht nur an dem hohen Besatz mit
Industriearbeitsplätzen, sondern vor allem an dem hohen Anteil der Industrie an der
gesamten Wertschöpfung festmachen läßt, noch eher zu vertreten als in anderen
Ländern. Nichtsdestoweniger werden bestimmte Aspekte des Strukturwandels durch
dieses Vorgehen ausgeblendet. Von besonderer Bedeutung ist dabei im Saarland die
Frage nach der Entwicklung der Landwirtschaft, weil dieser Sektor allgemein durch
seine im Vergleich zur Industrie komplementär angelegte Regional- und Beschäfti¬
gungsstruktur sozusagen spiegelbildlich die Verlaufsmuster der industriellen Ent¬
wicklung wiedergeben kann. Allerdings ist gerade für diesen Sektor der Forschungs¬
stand als besonders wenig ausgeprägt zu bezeichnen.6" Allgemein gilt die These, daß
58 Reitel, Probleme, S. 176. Vgl. hierzu übrigens auch die positive Bewertung der Strukturpolitik im
Ruhrgebiet bei Organisation d'études d'aménagement de l'aire Métropolitaine de Nancy-Metz-Thionville
(Hg.), L'aménagement d'une région européenne: La Ruhr (= feuillets de l'O.R.E.A.M. Lorraine 5 ( 1968).
59 Vgl. zu diesem methodischen Problem der regionalwirtschaftlichen Analyse der 60er Jahre, das partiell
im übrigen bis heute besteht: Dieter Schröder, Strukturwandel, S. 60fF.
60 Vgl. hierzu die Überblicksdarstellung bei Kluge, Agrarpolitik, Werner Rösener, Einführung in die
Agrargeschichte, Darmstadt 1997; Feldenkirchen, Agrarpolitik, sowie Münkel (Hg.), Agrarland. Eine
knappe Zusammenfassung bietet Theodor Bergmann, Agrarstrukturwandel und Agrarpolitik, in: Jürgen
Stark u. Martin Doll (Hgg.), Strukturwandel und Strukturpolitik im ländlichen Raum. Festschrift zum 65.
Geburtstag für Helmut Rohm, Stuttgart 1978, S. 157-189. Einen Überblick über den Forschungsstand
liefert Peter Blickle, Deutsche Agrargeschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Troßbach
u. Zimmermann (Hgg.), Agrargeschichte, S. 7-32. Zur Einordnung in die allgemeine Wirtschaftspolitik
siehe: Harm G. Schröter, Konsumpolitik und „Soziale Marktwirtschaft“. Die Koexistenz liberalisierter und
regulierter Verbrauchsgütermärkte in der Bundesrepublik der 1950er Jahre, in: Berghoff (Hg.), Konsum¬
politik, S. 113-134. Hinweise auf den Zusammenhang zwischen regionaler Agrargeschichte und dem
Prozeß der europäischen Einigung liefert: Heino von Meyer, Walter Ort u. Hermann Priebe (Hgg.),
Agrarpolitik und Regionalentwicklung. Räumliche Auswirkungen der Agrarpolitik dargestellt am Beispiel
der Region Trier, Bonn ¡981.
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