Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Kultur- und Bildungsgeschichte
führt.“198
Auch greift an dieser Stelle die von Axel Flügel pointiert vorgetragene Kritik von der
„Überforderung des Historikers“ durch den Anspruch einer in Grenzen unbegrenzten
„Totalgeschichte“ der Region.19'' Diese stellt sich nicht nur als Quellenproblem dar,
wenn selbst bei einem Projektdesign, das einem institutionell-administrativen Ansatz
folgt und die Länder in ihren Grenzen mit „Region“ gleichsetzt, die z.B. zur Er¬
stellung mentaler Landkarten notwendigen Quellen zur Vergangenheit in der Regel
nicht vorliegen,200 sondern verweist auch auf methodische Schwierigkeiten. Es ist zu
bedenken, ob der „totalgeschichtliche“ Ansatz nicht „über den Charakter der gesell¬
schaftlichen Verhältnisse selbst und über den Grad der kulturellen Kohärenz einer
Gesellschaft hinaus [geht]“.201 Dieser Kritik folgend, wählt ein nennenswerter Teil
der regionalwissenschaftlich grundgelegten Arbeiten zur Geschichte der Bundesre¬
publik nicht die Bundesländer, sondern anders abgegrenzte Regionen als Untersu¬
chungsgegenstand.202
Noch weiter geht der Teil der Forschung, der sogar die Irrelevanz der Bundesländer
nachzuweisen sucht. Besonders heftig polemisiert Peter Heil gegen das Land Rhein¬
land-Pfalz: Nachdem er bereits die ideologischen Züge der Föderalismus-Debatten in
der Nachkriegszeit betont hatte,211’ entschied er sich für die These, daß es kein rhein¬
198 Emst Hinrichs, Regionalgeschichte, in: Carl-Hans Hauptmeyer (Hg.), Landesgeschichte heute, Göttin¬
gen 1987, S. 16-34, hier: S. 28. Pointierte Kritik an Festschriften und Jubiläumswerken der Bundesländer
bringt auch Reusch, Föderalismus, S. I I 1, an.
199 Axel Flügel, Chancen der Regionalgeschichte, in: Dillmann (Hg.), Prisma, S, 24-46.
200 Dies mag sich in Zukunft ändern, wenn die seit den 70er Jahren verstärkt unternommenen Feldstudien
und Interview-Kampagnen als Quellen zur Verfügung stehen - sofern diese neben der eigenen Auswertung
auch die Rohdaten und die Untersuchungsmethode ausreichend dokumentieren. Vgl. Für das Saarland z.B.
Roman Glauben u. Peter Pfahler, Solidarisches Handeln und regionale Kultur im Saarland und in Lothrin¬
gen. Eine Vorstudie, Saarbrücken 1986; Hans Treinen u. Hans Arthur Klein, Menschen an der Saar. Eine
Bestandsaufnahme des Institutes für Sozialforschung und Sozial Wirtschaft, Saarbrücken 1977; Werner
Kroeber-Riel, Gunter Franz Schneider u. Volker Trommsdorff, Das Image des Saarlandes. Ergebnisse
einer Untersuchung über das Bild des Saarlandes aus der Sicht seiner Bevölkerung, seiner Nachbarn und
seiner Zuwanderer, Saarbrücken 1972; dies., Das Image des Saarlandes. Ergebnisse einer Untersuchung
über das Bild des Saarlandes in den Augen seiner Bevölkerung und seiner Nachbarn. Eine erste Aus¬
wertung, Saarbrücken 1971.
201 Flügel, Chancen, S. 42. Völlig anders dagegen Berding, Identität, S. 92f„ der davon ausgeht, daß sich
nach 1945 „in kürzester Zeit ... Bundesländer ... mit je eigenem politischen Profil“ entwickelten, und
zwar - dem klassischen Föderalismus-Ansatz folgend - aufgrund der hohen integrativen Kraft, die von
demokratisch legitimierten Staatswesen ausgeht.
202 So zuletzt Nonn, Ruhrbergbaukrise, in dessen Ansatz die regionale Dimension der von ihm analysierten
Netzwerke kollektiver Akteure im Entindustrialisierungsprozeß praktisch keine Rolle spielt. Ganz im
Gegenteil spricht Nonn im Schluß seiner Arbeit sogar davon, daß die komplexer werdenden Problemlagen
der postindustriellen Gesellschaft konventionelle - und hier ist auch zu denken: regional geordnete -
Verteilungssysteme überforderten und neue gesellschaftliche Regelungssysteme notwendig machten, ebd.,
S. 383f.
203 Peter Heil, Föderalismus als Weltanschauung. Zur Geschichte eines gesellschaftlichen Ordnungs¬
modells zwischen Weimar und Bonn, in: Geschichte im Westen 9 (1994), S. 165-182. Vgl. auch ders.,
„Gemeinden sind wichtiger als Staaten“. Idee und Wirklichkeit des kommunalen Neuanfangs in Rhein-
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