2 Von der Strukturkrise zum doppelten Strukturwandel
2.1 Der regionale Strukturwandel als Problem der Landespolitik
2.1.1 Der regionale Strukturwandel als Problem der Wirtschaftspolitik
Zur Bearbeitung von regionalwirtschaftlichen Problemen konnte die saarländische
Wirtschaftspolitik Anfang der 60er Jahre auf eigenständige und durchaus erfolgreiche
Strategien zurückgreifen. Zuletzt war in der Übergangszeit ein Instrumentarium
erarbeitet worden, das im wesentlichen die direkte Intervention der Regierung durch
Bürgschaften und Kreditmittel vorsah. Dieses Instrumentarium entwickelte die
Regierung in den folgenden Jahren konzeptionell weiter. Zunächst wurden die
Fördermaßnahmen regional ausdifferenziert. Beispielsweise wurde die Förderung
eines Textilunternehmens in St. Wendel Anfang 1960 nicht nur mit der „strukturellen
Kohlekrise“ begründet, vielmehr wurde der besondere Wert des Unternehmens darin
gesehen, daß es in einem Landesteil angesiedelt war, der aufgrund der dort noch
vorhandenen Arbeitskräftereserven die wirtschaftlichen Potentiale des Landes akti¬
vieren sollte.1 Weiterhin wurden die Fördermaßnahmen auf Branchen ausgerichtet,
die im Kontext der saarländischen Industriestruktur als besonders entwicklungsfähig
angesehen wurden. Solche Fördermaßnahmen konnten punktuell erfolgen, wurden
aber durchaus auch über einen gewissen Zeitraum hinweg aus Regierungsmitteln
finanziert.2 3 Zwar konnten trotz detaillierter Einzelfallprüfungen bestimmte Fehl¬
entwicklungen nicht verhindert werden, wenn z.B. ein mit nennenswerten öffentli¬
chen Mitteln sanierter Betrieb kurz nach erfolgter Bürgschaft- und Kreditgewährung
durch einen bundesdeutschen Betrieb übernommen wurde; die Regierung legte
jedoch primär Wert auf die Auffechterhaltung von Unternehmensstandorten.’
Zu Anfang der Legislaturperiode etablierte die Landesregierung auf diese Weise eine
Förderkulisse, die die Ansiedlung von ca. 70 Betrieben mit rund 10.000 Arbeits¬
plätzen4 ermöglichte. Diese Erfolge fänden bereits bei den Zeitgenossen viel Beach¬
tung,' wobei insbesondere der Beitrag zur Förderung des ländlichen Raums ausfiihr-
1 LASB, StK Kabinettsregistratur, Anlage MW, Kabinettsvorlage Wirtschaftsministerium v. 22.3.60. Der
arbeitsmarktpolitische Aspekt spielte z.B. bei einer Neuansiedlung - ebenfalls im Textilgewerbe - im Kreis
Ottweiler eine Rolle, LASB, StK Kabinettsregistratur, Anlage MW, Kabinettsvorlage Wirtschaftsministeri¬
um v. 23.1 1.60. Teilweise wurde unmittelbar auf die zu erwartenden Ausfälle an Arbeitsplätzen durch die
Restrukturierungsmaßnahmen der Saarbergwerke AG rekurriert, LASB, StK Kabinettsregistratur, Anlage
MW, Kabinettsvorlage Wirtschaftsministerium v. 3.10.61.
: So z.B. im Fall eines im weitesten Sinne der chemischen Industrie zuzurechnenden Unternehmens im
Raum Wadern, vgl. LASB, StK Kabinettsregistratur, Anlage MW, Kabinettsvorlage Wirtschaftsministeri¬
um v. 28.1 1.60. LASB, StK 1728, Kabinettsprotokoll v. 3.4.62 und LASB, StK 1 734, Kabinettsprotokoll
v. 5.5.64.
’ So z.B. im Fall eines Betriebes im Bereich Lebach, vgl. LASB, StK 1728, Kabinettsprotokoll v. 27.3.62
und LASB, StK 1728, Kabinettsprotokoll v. 17.4.62.
4 Eine Analyse der Landesregierung sprach von mehr als 100 zwischen 1959 und 1966 neu angesiedelten
Unternehmen mit ca. 15.000 Arbeitsplätzen, LTDS, 5. WP, Abt. I, 21. Sitzung v. 12.7.66, S. 478ff.
3 Schütz u. Weiant, Saar, S. 9, bezeichnen dieses Programm als „5. Welle“ der Restrukturierung der
saarländischen Industrie nach 1919. Die Autoren nennen die Zahl von 70 angesiedelten Betrieben mit
218