"Auch während des 1.Drittels des 18.Jahrhunderts waren die politischen Umstände
in der Grafschaft Saarbrücken nicht günstig für den Neuaufbau einer leistungsfähi¬
gen Verwaltungs- und Gerichtsorganisation"98. Die lange Abwesenheit des Grafen
Ludwig Kraft während des spanischen Erbfolgekrieges hätte zwar eine straff
organisierte Verwaltung erforderlich gemacht, zu der es allerdings nicht kam, weil
das Land "nach der langen französischen Besetzung wirtschaftlich und finanziell
zerrüttet war". Sein Nachfolger, Karl Ludwig, dessen Regierungszeit ohnehin nur
zehn Jahre, von 1713 bis 1723, währte, war wiederum "von seiner Persönlichkeit her
weniger dazu geeignet, den Wiederaufbau von Justiz und Verwaltung voranzutrei¬
ben". Graf Friedrich Ludwig, dem letzten Grafen vor der nassau-usingischen Herr-
schaftsübemahme, war trotz des Erbanfalls von 1721 der Aufbau eines leistungs¬
fähigen Verwaltungsapparates ebenfalls nicht vergönnt, was "wohl einmal an seinem
hohen Alter" lag (der Graf war bei der Herrschaftsübernahme der Grafschaft Saar¬
brücken bereits 73 Jahre alt) und zum andern an den "bedeutende(n) Aufgaben und
Auseinandersetzungen mit (den) Grenznachbam", die sich u.a. aus der Übernahme
des nassauischen Senionats ergaben und in seinen letzten Lebensjahren "seine ganze
Energie und Schaffenskraft in Anspruch nahmen"99.
Als nun die nassau-usingische Herrschaft im Frühjahr 1728 das linksrheinische
Territorium in Besitz nahm, war sie erstaunt über das Chaos, das hier herrschte100:
Die fürstliche Kanzlei, die für Justiz-, Verwaltungs- und Finanzsachen zuständig war
und der lediglich die beiden Regierungsräte Schmitt und Stutz vorstanden, konnte
ihre Geschäfte nicht ordnungsgemäß führen, weil keine Kanzleiordnung vorhanden
war, keine Registratur gehalten wurde und der Regierungsrat Johannes Stutz eine
maniere despotique an den Tag legte und dadurch Anlaß zu ständigen Streiereien
gab101. Das 'Polizeiwesen' in den beiden Städten Saarbrücken und St.Johann war in
einem miserablen Zustand, dessen Ursache zum guten Teil auf die Streitigkeiten
zwischen Stutz und dem städtischen Oberschultheiß Zeisig zurückging, wodurch
nichts alß Factionen unter denen Bürgerschaften entstanden und alle gute Ordnung
gleichsam zerstört wurde102. Das gemeinsame Stadtgericht hatte zwar seinen eigenen
Rumschöttel, Verwaltungsorganisation, S. 119.
99 Ebd.,S.120f.
I(X' Vgl. zum Folgenden den Bericht des Jugenheimer Amtmanns Wolfgang Henrich Schmoll über den
statum ecclesiasticum, politicum et oeconomicum der Grafschaft Saarbrücken (künftig: Schmoll-
Bericht), Jugenheim 4.Mai 1731: LA SB 22/2461, fol.l -52; der Jugenheimer Amtmann hatte von der
nassau-usingischen Fürstin den Auftrag, zusammen mit dem Usinger Rentmeister Henke über den
linksrheinischen Landesteil zu berichten; der Usinger Rentmeister war aber gerade abwesend, so daß
Schmoll allein Bericht erstattete (ebd., fol.l).
101 Ebd., fol.8-11 (zit.lOv.); zur fürstlichen Kanzlei und ihrem Zuständigkeitsbereich vgl. Rumschöttel,
Verwaltungsorganisation, S.124 u. S.127.
102 Schmoll-Bericht, Jugenheim 4.Mai 1731: LA SB 22/2461, fol.l lf. (zit,12r.); der angeblich wörtliche
Abdruck des Schmoll-Berichts bezüglich der beiden Städte Saarbrücken und St.Johann bei Köllner
deckt sich nicht mit dem Original (Städte I, S.339ff., hier S.342); offenbar hat Köllner beide Schmoll-
59