Full text: Obrigkeit und Untertanen

spezifische Affmtät zwischen Kalvinismus und Aufklärung90. Durch das völlige 
Fehlen von Landständen und der damit gegebenen direkten Nähe des Herrschers zu 
semen Untertanen schienen in Nassau-Saarbrücken ohnehin die Rahmenbedingungen 
günstig für eine aufgeklärte Reformpolitik im Schutze der Reichsverfassung. 
Gemeinhin gilt der Aufbau des landesherrlichen Absolutismus als entscheidende 
"Voraussetzung für alle Modernisierungsmaßnahmen"91, und gemeinhin heißt es, 
"daß 1648 ein neues Kapitel deutscher Gechichte begann": "Eine effektive Bürokra¬ 
tie und eine schlagkräftige Armee schienen das Gebot der Stunde. Aus dieser doppel¬ 
ten Notwendigkeit erwuchs der Absolutismus des deutschen Fürstenstaates"92. In 
unserer Gegend endete der Dreißigjährige Krieg jedoch nicht im Jahre 1648. Hier 
setzte nun, bedingt durch die Grenzlage, eine landesgeschichtliche Sonderentwick¬ 
lung ein, die den geordneten Aufbau eines absolutistischen Herrschaftssystems 
ungemein erschwerte, ja eigentlich unmöglich machte. Für die Geschichte des 
Landes an der Saar spielte Frankreich nämlich "die bestimmende Rolle": Nicht mit 
dem Westfälischen Frieden, sondern erst mit dem Pyrenäenfrieden zwischen Frank¬ 
reich und Spanien von 1659 und mit dem Frieden von Vincennes zwischen Frank¬ 
reich und Lothringen von 1661 endeten hier die Kampfhandlungen, und "bis zur De- 
facto-Wiederherstellung des nassauischen Gebietes sollte es 1670 werden"93. Bereits 
zwei Jahre später besetzten erneut französische Truppen das Land94, und schon bald 
darauf fand das Vordringen Frankreichs nach Osten seinen vorläufig krönenden 
Abschluß in einer rund zwanzigjährigen Herrschaft über die 'Saarprovinz' während 
der Reunionszeit unter König Ludwig XIV95. In dieser Zeit drückte Frankreich die 
angestammten Landesherm zu "Mediatisierten" herab, indem es ihnen ihre alten 
Rechte beschnitt und die Verfügungsgewalt über ihre Untertanen entzog; im Rechts¬ 
wesen waren bezeichnenderweise die französischen Eingriffe am stärksten gewe¬ 
sen96. Wenn auch alle Maßnahmen Frankreichs "vom Standpunkt eines staatlichen 
Absolutismus" erfolgten, so blieb die französische Herrschaft doch nur ein Zwi¬ 
schenspiel ohne tiefergehenden Einfluß auf die Verwaltung des Landes97. Erst nach 
der Wiedereinsetzung der alten Gewalten infolge des Friedens von Rijswijk 1697 
konnte man an den geordneten Aufbau eines politischen Systems denken. Aber: 
9(1 Die Forschung differenziert hier m.E. zuwenig zwischen kalvinistischen u. lutherischen Herrschern, 
vgl. etwa van Dülmen, Kultur Bd.lll, S. 173ff. oder Möller, Vernunft, S.71 ff.; beispielhalft Press, 
Calvinismus, passim. 
91 Weis, Absolutismus, S.38. 
93 Press, Reich, S. 157. 
93 Vgl. zu der für das Land an der Saar modifizierten Einteilung des Dreißigjährigen Krieges in drei 
Phasen Herrmann, Grundlinien, S.498-506 (zit.S.501 u. S.505). 
94 Vgl. Ruppersberg, Grafschaft II, S.131. 
95 Vgl. dazu Textor, Saarprovinz, S. 1 -76; ders., Entfestigungen; Kaufmann, Reunionskammer, S.1-313. 
96 Vgl. Textor, "Saarprovinz", S.32ff. (zit, S.32 u. S.35). 
97 Ebd., S.48. 
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