Full text: Obrigkeit und Untertanen

etwas zu starre Epochengrenze der Jahrhundertmitte aufbrechen und das gesamte 
Jahrhundert unter dem erkenntnisleitenden Gesichtspunkt der "Rationalisierung von 
Herrschaft"72 73 in den Blick bekommen will, bietet sich als Alternative zum Begriff des 
'aufgeklärten Absolutismus' der von Günter Birtsch in die Debatte emgebrachte 
unverfänglichere und widerspruchsfreiere Begriff des 'Reformabsolutismus' an77. 
Ganz allgemein läßt sich darunter "eine bestimmte Spielart des absolutistischen 
Regimes"74 verstehen, was heißen soll: "In einer bestimmten Phase des Absolutismus 
habe das Moment der Reform eine neue Qualität erhalten, sei sozusagen zu dessen 
Wesensbestandteil geworden"75. Wir entscheiden uns für den relativ neutralen und 
zugleich das gesamte 18. Jahrhundert einbindenden Begriff des Reformabsolutismus, 
weil er der historischen Tatsache Rechnung trägt, "daß die Berufung auf die Auf¬ 
klärung nur der langfristigen und von der Aufklärung zunächst ganz unabhängigen 
Tendenz der Monarchen zur Herrschaftsrationalisierung gedient habe"76. Unter dem 
(auch für Nassau-Saarbrücken erkennbaren) Aspekt der 'Rationalisierung von Herr¬ 
schaft' wird in der Forschung - vor allem mit Blick auf die größeren Staaten wie 
Preußen und Österreich - unterschieden zwischen dem "pragmatischen Reformabso¬ 
lutismus" der ersten und dem "aufgeklärten Reformabsolutismus" der zweiten Hälfte 
des 18.Jahrhunderts77. Die Politik der nassau-usingischen Vormundschaft ist dem¬ 
nach vor dem allgemeinen Hintergrund eines 'pragmatischen Reformabsolutismus' zu 
sehen, wie er nachgewiesen wurde für Friedrich Wilhem I. von Brandenburg-Preu¬ 
ßen, von dem es hieß, daß er zwar kein 'aufgeklärter Monarch1 gewesen sei, aber 
doch "König in der Zeit der Aufklärung"78. 
Die spezifische Konstellation, aus welcher der deutsche Reformabsolutismus her¬ 
vorging, war in erster Linie geprägt durch das "Entwicklungsgefälle zwischen West- 
und Mitteleuropa", konkret durch "das Gefälle zwischen den sozioökonomisch höher 
Forschungskontext vgl. Demel, Reformstaat, S.64-66. 
7: So Schulze, Einführung, S.162 in bewußter Vermeidung des Begriffes 'Aufgeklärter Absolutismus'. 
73 Vgl. Birtsch, Friedrich Wilhelm I., S.87-102, bes. S,89/Anm.l 1. sowie ders., Idealtyp, S.9-47. 
74 Vgl. Wehler, Gesellschaftsgeschichte 1, S.230ff. (zit.S.230), der zum ersten Mal - wenn auch nicht 
ganz konsequent - diesen Begriff auf breiter Basis anzuwenden versuchte. 
75 Demel, Reformstaat, S.61f, Birtsch selbst (der Erfinder dieses Begriffes) hat bislang noch keine 
schlüssige Definition geliefert. 
76 So Hardtwig, Aufklärung, S.160/Anm,9, der jedoch den Begriff des Aufgeklärten Absolutismus 
beibehält und nicht auf die von Birtsch gestellte zentrale Frage der "Epochenscheide" (Idealtyp, S.ll) 
eingeht. Überhaupt wurde der Altemativvorschlag von Birtsch aus dem Jahre 1987 bislang von der 
Forschung noch nicht angewandt, wie es etwa Duchhardt 1989 gefordert hatte (Absolutismus, S.205). 
In der Regel werden die Begriffe 'Aufgeklärter Absolutismus' und 'Reformabsolutismus’ seither 
synonym verwandt. Hier soll nun erstmals der Versuch unternommen werden, das von Birtsch 
entwickelte Konzept des Reformabsolutismus als Alternative zum 'Epochenbegriff des Aufgeklärten 
Absolutismus konsequent auf ein Duodezfürstentum anzuwenden. 
77 Vgl. Birtsch, Idealtyp, bes.S. 10-13. 
7S Vgl. Birtsch, Friedrich Wilhem 1., S.87-102 (zit.S.89); zur expliziten Kennzeichnung als 'pragmati¬ 
schen Reformabsolutismus', die hier noch nicht erfolgte, vgl. ders., Idealtyp, S.l 1. 
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