Full text: Obrigkeit und Untertanen

gleichsam "dysfunktional" geworden wäre64. Die nassau-saarbrüekische Huldigung 
von 1728 hatte - ganz im Gegenteil - eine enorm wichtige Funktion: Sie sollte die 
Untertanen der 'Handhabung bei Recht und Gerechtigkeit' versichern. Die rationale 
Rechtsversicherung dieser Huldigung erinnert in frappierender Weise an den 
rechtlich-politischen Charakter mittelalterlicher Huldigungen mit ihrer Anbindung an 
das Ding65. Ob und inwieweit damit auch - direkt oder indirekt - das mittelalterliche 
Herrschaftsverhältnis einer wechselseitigen Verpflichtung, einer 'mutua obligatio' 
zwischen Obrigkeit und Untertanen wiederbelebt wurde, werden wir im folgenden 
sehen66. Wenn die Huldigung sich wirklich als "Verfassung in actu" begreifen läßt, 
was heißen soll, "daß im aktuellen Vollzug der Huldigung, im Huldigungsakt selbst, 
die Verfassung des betreffenden Herrschaftsverbandes aktualisiert, erneuert und 
fortgeschneben wurde"67, dann stellt sich in unserem Fall die Frage nach dem kon¬ 
kreten Inhalt des ’Verfassungs'-Versprechens der 'Handhabung bei Recht und 
Gerechtigkeit', die Frage also nach der Politik der nassau-usingischen Vormund¬ 
schaft. 
b) Zur absolutistischen Ordnungs- und Reforminitiative der Fürstin Charlotte Amalie 
Die mit der nassau-usingischen Herrsehaftsübemahme eingeleitete Rationalisierungs- 
mitiative markierte in der landesgeschichtlichen Entwicklung des Fürstentums 
Nassau-Saarbrücken eine tiefgreifende Zäsur. Allenthalben können wir in der ersten 
Hälfte des 18.Jahrhunderts durch die allmähliche Verbreitung frühaufklärerischen 
Gedankenguts eine zunehmende Tendenz zur "Rationalisierung des Staatsbetriebes" 
erkennen68. Damals bereits setzte in ersten Ansätzen jene Entwicklung ein, die den 
Wandel vom 'klassischen' zum 'aufgeklärten' Absolutismus kennzeichnete69. Als 
'Epochenbegriff ist der Aufgeklärte Absolutismus allerdings vornehmlich für die 
zweite Jahrhunderhälfte reserviert70. Außerdem birgt das Begriffspaar 'Aufgeklärter 
Absolutismus' in sich einen gewissen Widerspruch, verschleiert es doch "das be¬ 
grenzte Maß der in den Absolutismus eingebrachten Aufklärung und suggeriert eine 
Formveränderung des Absolutismus, die es nie gegeben hat"71. Wenn man nun die 
64 So die allzu unlineare Entwicklungslinie, die Holenstein in Anlehnung an die allgemeine Verfas¬ 
sungsgeschichte zeichnet, ohne auf die 'praktische' Seite dieses Rationalisierungsprozesses zu sehen 
(vgl Holenstein, Huldigung u. bes. ders., Herrschaftszeremoniell). 
65 Vgl, allgem. dazu Holenstein, Huldigung, S.147ff. 
66 Vgl. allgem. dazu Oestreich, Idee, S. 157-178. 
67 So die Hauptthese Holensteins, Huldigung, hier S.512f. 
68 Butsch, Friedrich Wilhelm I., S.89, 
69 Aus der Fülle der Veröffentlichungen sei hier nur auf die jüngsten Überblicksdarstellungen mit 
Forschungsteilen verwiesen: Demel, Reformstaat, S.lff. u. S.61ff; Duchhardt, Absolutismus, S.l 17ff. 
u. S.202ff., Kunisch, Absolutismus, S.20ff, u. S.172ff. 
70 Vgl. dazu vor allem Aretin, Einleitung, S.l 1-51. 
71 Birtsch, Idealtyp, S.l 2; zum prinzipiellen Widerspruch von 'Absolutismus' und 'Aufklärung' vor allem 
Aretin, Einleitung, S.l 1-51; zur Einordnung dieser nicht umstrittenen These in den allgemeinen 
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