Gemeinden schwören sollten48. Das war nun ein ganz bewußter, sozusagen "ex¬
pliziter Traditionsverzicht"49, den die Fürstin mit dieser Anordnung öffentlich be¬
kannt gemacht hatte. Aber noch eine andere, viel wichtigere Passage der Huldi-
gungsvoilmacht verweist uns auf einen derart bewußten Traditionsverzicht der
Vormünderin. Der Kern der Huldigungsvollmacht bestand in der Anweisung der
Fürstin an ihren Revisionsrat, er möge jedermann 'anbei* der herrschaftlichen Huld
und Gnade, 'absonderlich' aber der Handhabung bei Recht und Gerechtigkeit versi¬
chern. Obwohl sich Fürstin Charlotte Amalie im Introitu ihrer Vollmacht auf das
Gottesgnadentum berief, wollte sie das Verhältnis zu den Untertanen nicht mehr in
erster Linie auf herrschaftlicher Gnade aufbauen, sondern auf Recht und Gerechtig¬
keit. Welche Vorstellung von 'Recht' die Fürstin damit verband, brachte sie allein
schon durch die Großschreibung (im Unterschied zur Kleinschreibung bei der vor¬
angegangenen Huldigung) zum Ausdruck; denn, wie Fritz Kern so treffend formu¬
lierte: "Wir können das, was 'recht' ist, von dem was 'Recht' ist, nur durch das
Gewaltmittel der Rechtschreibung unterscheiden"50. Die Vormünderin verband mit
der Rechtsversicherung nicht mehr - wie noch Friedrich Ludwig zuvor - die mittel¬
alterliche Vorstellung von Recht als einer mehr oder weniger moralischen Ver¬
pflichtung, sondern sie war bereits dabei, 'Recht zu setzen' und leitete damit eine
Erneuerung des Rechtsbegriffs ein, die "schrittweise vom mittelalterlichen statischen
Rechtsbegriff weg zur Flexibilität und Variabilität der Normsetzung auf dem Weg
der Polizei und Gesetzgebung" führte51. Sie destruierte so bis zu einem gewissen
Grade das Gottesgnadentum und stellte das Verhältnis zu den Untertanen auf eine
völlig neue, rationale Rechtsbasis. Damit begann in Ansätzen das, was Fritz Hartung
in seinem wegweisenden Aufsatz über den Aufgeklärten Absolutismus in Anlehnung
an Max Weber als die "Entzauberung der Monarchie von Gottes Gnaden" bezeichnet
hat52. Auch in diesem Fall scheint das kalvinistische Glaubensbekenntnis der Vor¬
münderin wichtige Impulse gegeben zu haben. Im Vergleich zur vorangegangenen
Huldigung läßt sich pointiert festhalten: Während die Huldigung von 1724 noch eine
'traditionale Gnadenversicherung' war, stellte die vormundschaftliche Huldigung vier
Jahre später bereits eine 'rationale Rechtsversichemng' dar!
Aber es lassen sich noch weitere Belege für die Rationalisierungsinitiative der
vormundschaftlichen Herrschaft im Umfeld des Huldigungsaktes anführen. Als der
fürstliche Gesandte Friedrich von Bode einen Tag nach seiner Ankunft in Saar¬
brücken, am 29.Mai 1728, im Saarbrücker Schloß zusammen mit den anderen
Trauergästen zu Mittag speiste, da notierte er in sein eigens für die Huldigungsein¬
48 Undatierte Eidesformel der Usinger Fürstin für die Herrschaft Idstein (Mai 1728): HHSTA W1 131 /Ia
16,unpag.
49 Zu diesem Begriff Holenstein, Huldigung, S.480.
so Kern, Recht, S.23.
51 Holenstein, Huldigung, S.380.
5: Hartung, Aufgeklärter Absolutismus, S.40.
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