das Gottesgnadentum berufen, als kalvinistisch erzogene Fürstin sah sie in dem
Herrscheramt aber auch eine Last und Prüfung Gottes zugleich, der sie sich pflicht¬
bewußt zu 'unterziehen' hatte und die sie nur durch eine rationale, innerweltliche
Pflichterfüllung bewältigen konnte45. Letztlich war es wohl zunächst einmal das
kalvinistische Bekenntnis, das die Fürstin aus dem Hause Dillenburg zur Hinter-
fragung des traditionalen Herrschaftsverständnisses veranlaßte.
Die konfessionelle Prägung war auch für den zweiten wichtigen Punkt der Huldi¬
gungsvollmacht mit verantwortlich: die Vorstellung der Fürstin über die künftige
Gestaltung ihres Verhältnisses zu den Untertanen. Die Tatsache, daß sich die Vor¬
münderin durch ihren Revisionsrat bei der Huldigung vertreten ließ, war an sich
nichts Außergewöhnliches; selbst im Personenverbandsstaat des Mittelalters war es
durchaus üblich, "daß sich die Herren häufiger durch einen Amtmann, Schultheißen
oder Meier vertreten ließen"46. Die Tatsache jedoch, daß Charlotte Amalie auch noch
ihren Beamten 'cum facultate substituendi', d.h. mit der Möglichkeit, sich ersetzen zu
lassen, austattete, verweist doch - gerade wenn man sich die vorangegangene Huldi¬
gung vor Augen hält - auf ein verändertes, neues Verständnis von Herrschafts¬
beziehungen: Fürstin Charlotte Amalie maß - ganz im Unterschied etwa noch zu
ihrem Vorgänger Friedrich Ludwig - dem für traditionale Herrschaftsverhältnisse
geradezu konstitutiven Moment der Personalität offenbar keine allzu große Bedeu¬
tung mehr zu. Sie entpersonalisierte, versachlichte, ja: sie rationalisierte damit in
gewisser Weise ihr Verhältnis zu den Untertanen. Nun könnte man sagen, daß dies
kein bewußter 'Traditionsverzicht', sondern ein mehr oder weniger zufälliger, weil
aus dem Erbfall resultierender Traditionsverlust' sei - konnte doch die Vormünderin
nicht in allen neuen Herrschaftsgebieten persönlich erscheinen, und schon gar nicht
in den so weit gelegenenen linksrheinischen Landesteilen. Es ist aber nicht allein das
fehlende Moment der Personalität, das uns auf eine zunehmende Rationalisierung des
Herrschaftsverhältnisses verweist.
"Traditionelle Huldigungsverfahren" - so heißt es allgemein - "gab man auf, wenn
die herkömmliche kollektive Vereidigung der Gesamtuntertanenschaft durch
ausschußweise oder gar individuelle Huldigungen ersetzt wurden"47. Und in den
linksrheinischen Landesteilen wollte die Fürstin die Huldigung ja - wie wir gehört
haben - entweder 'per capuf der Vorsteher oder 'von allen und jeden Untertanen'
entgegennehmen. Für die rechtsrheinische Herrschaft Idstein fügte sie gar noch
hinzu, daß die Huldigung auch durch einen Ausschuß der Gemeinden geschehen
könne, wobei die Ausschußmitglieder dann fiir Euch und Eure Mitnachbarn und
45 Vg], dazu nochmals Weber, Protestantische Ethik, bes. S.88ff.
46 Holenstein, Huldigung, S.436.
47 Ebd. S.482.
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