nomie, d.h. die unterschiedliche Ausgangslage ausschlaggebend für das ungleich
progressivere Verhalten der Städte gegenüber den Landgemeinden. Beide, der Stadt-
und der Landprotest führten schließlich dazu, daß die reformabsolutistische Forst¬
politik nicht in dem Maße realisiert werden konnte, wie die Usinger Herrschaft sich
das gewünscht hatte: Die einst 70-Punkte starke Forstordnung mußte aufgrund des
Landprotestes gleich zweimal geändert werden, einmal auf 35 Punkte reduziert und
sodann durch eine Nachtragsverordnung zusätzlich entschärft; und die Städte erhiel¬
ten zudem eine 'Sonderverordnung', die sie ausdrücklich von den Artikeln der Land¬
gemeinden befreite, was dem absolutistischen Gleichheitsgrundsatz der Usinger
Herrschaft diametral zuwiderlief. Schon die erste Reaktion der Stadt- und
Landuntertanen auf den reformabsolutistische Neuanfang machte deutlich, daß
Herrschaft stets mit dem Widerstand der Untertanen zu rechnen hatte und 'Absolutis¬
mus' bestenfalls eine idealtypische Kennzeichnung ist, eine Tendenz, die nicht mit
der Wirklichkeit verwechselt werden darf.
Die Stadt- und Landproteste in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts standen ganz
im Zeichen des 'aufgeklärten Reformabsolutismus'. Um die Proteste in diesem
Kontext zu interpretieren, war es notwendig, die aufgeklärte Reformpolitik der
beiden letzten nassau-saarbrückischen Fürsten Wilhelm Heinrich und Ludwig etwas
genauer zu analysieren. Der aufgeklärte Reformabsolutismus war aufgrund des
strukturellen Spannungsverhältnisses zwischen Aufklärung und Absolutismus ein
höchst ambivalentes Phänomen. Um die Ambivalenz begrifflich zu fassen, haben wir
uns zweier Kategorien von Max Weber bedient: Einmal der Weberschen Unter¬
scheidung zwischen 'Ideen' und 'Interessen', die uns half die Motive der aufgeklärten
Reformpohtik Fürst Wilhelm Heinrichs zu ergründen, und zum andern der Weber¬
schen Typenlehre, die zwischen 'traditionaler', auf willkürlicher 'Gnade' basierender
und 'rationaler', an gesetztem 'Recht' orientierter Herrschaft unterscheidet und die wir
zur Kennzeichnung der Reformpolitik des letzten Saarbrücker Fürsten heranzogen.
So konnten wir feststellen, daß die Reformpolitik Fürst Wilhelm Heinrichs zwischen
fiskalischen 'Interessen' und aufgeklärten 'Ideen' oszillierte, wobei - ganz im Weber¬
schen Sinne - die materiellen 'Interessen' der Steigerung der Staatseinnahmen im
Vordergrund standen, während die e i n e große 'Idee' der Aufklärung der eher vage
evozierende Hintergrund abgab; Fürst Wilhelm Heinrich war weniger 'aufgeklärter
Herrscher' als vielmehr absolutistischer 'Fürst in der Zeit der Aufklärung'. Wenn er
auch so revolutionäre Maßnahmen wie die Aufhebung der Unteilbarkeit der Vogtei¬
güter oder die konsequente Verstaatlichung des Steinkohlebergbaus durchführte, so
ließ sich doch sein fiskalisches Motiv nie verbergen. Wilhelm Heinrich war Reform¬
absolutist und Pragmatiker, an seiner Politik zeigte sich sehr deutlich, wie weit der
'pragmatische Reformabsolutismus', der von seiner Mutter eingeleitet worden war, in
Nassau-Saarbrücken noch fortdauerte. Sein Sohn und Nachfolger, Fürst Ludwig
hmgegen war viel mehr von der 'Idee' der Aufklärung beseelt, ihn konnten wir - ganz
entgegen der gängigen Auffassung in der Landesgeschichtsschreibung - als den
eigentlich aufgeklärten Herrscher in Nassau-Saarbrücken ausmachen. Fürst Ludwig
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