I. UNTERTANENPROTESTE IM ZEICHEN ABSOLUTISTISCHER
REFORMANSÄTZE:
DER FORSTKONFLIKT UNTER NASSAU-USINGISCHER VOR¬
MUNDSCHAFT
1. Die Zäsur der nassau-usingischen Herrschaftsübernahme
a) Die vormundschaftliche Huldigung im Spannungsfeld von 'Traditionsverlusf und
'Traditionsverzichf1
Am Anfang unserer Geschichte steht eine Huldigung, nicht irgendeine, sozusagen
ganz normale Huldigung, sondern die Huldigung an eine völlig neue, nicht im Land
residierende und zudem noch vormundschaftliche Herrschaft: die Huldigung der
nassau-saarbrückischen Untertanen an die Linie Nassau-Usingen im Frühjahr 17282.
Als kulturgeschichtliches Phänomen des Alten Reiches war die Huldigung an sich
sowohl politisch-rechtlicher als auch symbolisch-ritueller Ausdruck des Interakti¬
onsverhältnisses von Obrigkeit und Untertanen - wenn man so will: "Verfassung in
actu" des jeweiligen Herrschaftsverhäitnisses3. Nicht nur daß sich beide Seiten in
aller Öffentlichkeit zu einem klar festgelegten feierlichen Zeremoniell trafen, sie
erwarteten auch etwas voneinander. In erster Linie hatten natürlich die Untertanen
den Eid, und das hieß Treue und Gehorsam zu schwören, aber auch die Herrschaft
mußte ihren Part leisten und sich verpflichten, die alten Rechte, Freiheiten und
Privilegien der Untertanen zu sichern. Indem "sich Herrscher und Beherrschte
gemeinsam der politisch-rechtlichen Grundlagen, gleichsam der 'Verfassung’, des
Herrschaftsverbandes vergewisserten", setzten sie den Legitimationsrahmen ihres
künftigen Verhältnisses und ihres künftigen Handelns; durch die Huldigungszeremo¬
nie wurden die Herrschaftsbeziehungen zwar nicht konstituiert, aber immer wieder
von neuem reproduziert, ja mehr noch: "die regelmäßige Wiederholung derselben
Herrschaftszeremonien trug der permanenten Spannung Rechnung, die das reziprok
strukturierte feudal-ständische Herrschaftssystem zwischen Herren und Untertanen
kennzeichnete"4. Geradezu wie in einem Brennpunkt scheint der Huldigungsakt das
1 Die Begriffsbildung in Anlehnung an Holenstein, Huldigung, S.481 ff. im allgemeinen Zusammen¬
hang mit dem "Ende der Untertanenhuldigung".
' Die Huldigung von 1728 hat in der landesgeschichtlichen Literatur bislang kaum Beachtung gefun¬
den, vgl. Köllner, Land, S.436 u. Ruppersberg, Grafschaft II, S.216; sie dokumentiert jedoch auf
einzigartige Weise die Zäsur der nassau-usingischen Herrschaftsübemahme für die landesgeschicht¬
liche Entwicklung und wird daher hier erstmals nach Akten des Hessischen Hauptstaatsarchivs
Wiesbaden dargestellt. Beispielhaft für eine Untersuchung von Huldigung und Huldigungsverweige¬
rung in unserer Gegend sei auf die Arbeit der Saarbrücker Arbeitsgruppe (Huldigungseid, S.l 17-155)
verwiesen.
3 So die Hauptthese der Dissertation von Holenstein (Huldigung).
4 Vgl. dazu Holenstem, Herrschaftszeremoniell, S.23 u. S.29.
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