Full text: Obrigkeit und Untertanen

nannte auch noch die wenigen herrschaftlichen Frondienste, zu denen der Freiheits- 
brief die Bürger in Notfällen anhielt; ja der Fürst beabsichtigte gar, das längst in 
Vergessenheit geratene Recht der Anlegung von Bannmühlen und Bannbacköfen in 
den Städten nach Beschaffenheit der Erfordernüß wieder in Anspruch zu nehmen180, 
Wilhelm Fleinrich dachte bei der städtischen Privilegienbestätigung zunächst einmal 
an seine eigenen Rechte, die sich auf der Rechtsgrundlage des Freiheitsbriefs 
wiederbeleben ließen. Erst an zweiter Stelle ging er auf die Privilegien und Forderun¬ 
gen der Städte ein. Aber auch hier wurden die alten Rechte nicht kursorisch bestätigt, 
sondern im einzelnen genannt. Sehr wichtig war es, daß er den Stadtgerichten in 
innerstädtischen Angelegenheiten sowie in Streitigkeiten zwischen Bürgern und 
Fremden die hergebrachte Gerichtsbarkeit gemäß den entsprechenden Artikeln des 
Freiheitsbriefs beließ181. Daran ist zu erkennen, daß dem Fürst nicht an einer voll¬ 
ständigen Beseitigung kommunaler Autonomierechte gelegen war - im Gegenteil: Er 
mußte vielmehr darauf bedacht sein, daß nicht jeder kleine Streit vors Oberamt kam 
und dadurch eine nicht mehr zu bewältigende Überlastung seiner eigenen Behörde 
entstand. Die Bestätigung der städtischen Gerichsbarkeit war ein ganz eigennütziges 
Unterfangen Wilhelm Heinrichs, sie hat nichts, aber auch gar nichts mit einem ernst¬ 
haften Versuch zu tun, "durch innere Reform das Stadtgericht wieder in besseren 
Stand zu setzen"182. Im gleichen Atemzug nämlich schlug der Fürst die spezielle Bitte 
des Stadtgerichts um Wiedereinführung seiner ehemaligen Funktion als bürgerlicher 
Appellationsinstanz ab; wenn es ihm wirklich um eine Aufwertung städtischer 
Gerichtsbarkeit gegangen wäre, dann hätte er hier wenigstens mit sich reden lassen 
müssen183. Auch das Gerichtssiegel für bürgerliche Geschäfte beließ er gemäß des 
Freiheitsbriefs den Stadtgerichten, behielt sich aber zugleich das Probstei-Siegel für 
180 Vgl. die Punktation v.l l.Februar 1764: LA SB 22/2851, fol.l 14r.; zu den Bannmühlen u. Bannöfen 
vgl. den Art.20 des Freiheitsbriefs bei Köllner, Städte I, S.32. 
181 Vgl. die Punktation v.l l.Februar 1764: LA SB 22/2851, fol.l 14v,,es handelt sich um die Artikel 2-10 
des Freiheitsbriefs, vgl. dazu Köllner, Städte I. 
182 So Ennen, Organisation, S.104 (allgem. zu dieser These, ebd. S.102ff.); dieser angebliche 'Reformvor¬ 
schlag’ wird 1768 exakt so nochmals von Wilhelm Heinrich vorgebracht und scheitert am Widerstand 
der Stadt St.Johann (vgl. dazu LA SB 22/2852, fol.123-150); in der Forschung wird dieser Fall immer 
wieder als 'Beleg' angeführt, daß die Herrschaft die städtische Selbstverwaltung nicht nur beschnei¬ 
den, sondern auch wiederbeleben wollte und dies dann sogar am Widerstand der Bürger und ihrer 
Repräsentanten selbst gescheitert sei (vgl. dazu Jung, Ackerbau, S.137f. u. Ennen, ebd,). Der Wider¬ 
stand St.Johanns hängt m.E. mit dem gleichzeitigen Streit der Stadt gegen Fürst Wilhelm Heinrich 
wegen Besetzung des Stadtgerichts zusammen, der so prinzipiell ausgetragen wurde, daß er 1786 
sogar vors Reichskammergericht kam (s.dazu weiter unten). Die Forschung urteilt m.E. sowohl über 
die Absicht der Herrschaft als auch über das Verhalten der Bürger falsch. 
183 Vgl. die Schlußpassage der Punktation v.l 1 .Februar 1764: LA SB 22/2851, fol.l 16v.; Ennen erwähnt 
dies auch (Organisation, S. 103), erkennt aber nicht den inneren Widerspruch zu ihrer Hauptthese 
aufgrund ihrer strikten u. m.E. künstlichen Trennung der beiden Spähren staatlicher Zugriffspolitik 
und städtischer Selbstverwaltung; beide Bereiche werden von ihr als relativ autonome Komplexe 
behandelt, statt auf das Interaktionsverhältnis einzugehen (sehr deutlich bei den jeweiligen Fragestel¬ 
lungen zu Anfang der Kapitel: ebd., S.l 12ff. u.l38ff.). 
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