von Zwierlem die angenehme Nachricht in Händen und versprach am nächsten Tag,
die entsprechende Anzeige beim Reichskammergericht zu machen; den Anwalt der
Völklinger hatte er noch am gleichen Tag gebeten, daß er im Namen seiner Mandan¬
ten die Litisrenunciation, d.h. das offizielle Rücktrittsgesuch vom Prozeß beim
Reichskammergericht einreichen solle, was auch geschahl5g. Damit war der Protest
der Völklinger Widerstand endgültig beigelegt.
Um an unsere Eingangsfrage anzuknüpfen, ob und inwieweit der Protest der Völ¬
klinger Gemeinden gegen die reformabsolutistische Politik Wilhelm Heinrichs
gerichtet war, können wir festhalten, daß sich die Völklinger Bauern nicht gegen die
Reformpolitik schlechthin zur Wehr setzten, sondern ausschließlich gegen die Kosten
des Reformprozesses. Von daher besaß ihr Widerstand keinen prinzipiellen Charak¬
ter, was allerdings nicht heißen soll, daß er 'unpolitisch' gewesen sei. Er traf vielmehr
exakt den Nerv der Reformpolitik Wilhelm Heinrichs, die - wie wir gesehen haben -
mehr von fiskalischen 'Interessen' als von aufgeklärten 'Ideen' bestimmt war. Damit
belegt die Völklinger Klage am Reichskammergericht einmal mehr den Interaktions¬
prozeß zwischen Obrigkeit und Untertanen, dem das altständische Prinzip einer
wechselseitigen Verpflichtung zugrunde lag. Die Tatsache, daß die Völklinger auch
einen gewissen Erfolg davon trugen und dem Fürsten eine merkliche Abgaben¬
erleichterung abringen konnten, zeigt, daß selbst in der Hochzeit des Reformabsolu¬
tismus Politik nicht ausschließlich 'von oben' gemacht werden konnte, sondern
immer auch bis zu einem gewissen Grad vom Konsens der Untertanen abhängig war.
Genau darin lag auch das 'politische' Moment des Völklinger Protests, wenn die
Bauern auch das altständische Verfassungselement des 'Konsenses' nicht explizit
emklagten, sondern durch ihren Widerstand eher indirekt einfließen ließen. In diesem
Punkt glich ihr Protest dem ländlichen Forstkonflikt unter nassau-usmgischer Vor¬
mundschaft, der die Herrschaft ebenfalls nicht explizit, sondern faktisch zur Revidie-
rung bzw. Modifizierung ihrer absolutistischen Forstpolitik zwang. In einem andern
Punkt war der Völklinger Protest jedoch schon wesentlich 'moderner': Nicht mehr der
Wald, sondern die Steuern, also gewissermaßen 'modemstaatliche' Konfliktgegen¬
stände, standen im Zentrum des Streits. Überhaupt waren die Konfliktgegenstände
gegenüber der vormundschaftlichen Zeit enorm vermehrt worden. Von daher war der
Völklinger Protest ganz Kind seiner Zeit: die vielfältigen Abgaben und Steuern, die
im Gefolge des Reformabsolutismus neu eingeführt bzw. ständig erhöht wurden,
standen auf dem Prüfstand. Ob und inwieweit im Laufe der Zeit die Reformpolitik
selbst zum Gegenstand des Streits werden konnte, werden wir im folgenden sehen.
159 Vgl. das Schreiben des Wetzlarer Hofrats von Zwieriein an die Saarbrücker Regierung, Wetzlar
14.September 1766: LA SB 22/2979, fol.ll8r.; zur ’Litisrenunciation' u. anderen Rechtsbegriffen
beim Reichskammergericht vgl. das Glossar bei Dick, Entwicklung sowie Laufs, Reichskammer¬
gerichtsordnung.
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