Full text: Obrigkeit und Untertanen

grund- und zehntherrlicher Rechte begonnen worden war, gab es um die Mitte des 
18.Jahrhunderts in Nassau-Saarbrücken fast keine adelige Grundherrschaft mehr4', 
klösterlichen Grundbesitz hatte nur noch die Abtei Wadgassen, die sich durch einige 
Reichskammergerichtsurteile ihre Selbständigkeit weitgehend erhalten konnte und 
eine Sonderstellung einnahm43 44. Herrscher und Beherrschte standen sich in Nassau- 
Saarbrücken viel unmittelbarer gegenüber als in größeren, ständisch strukturierten 
Territorien mit adeligem und/ oder klösterlichem Grundbesitz, wo man zwischen 
'näherer' und 'ferner' Obrigkeit zu unterscheiden hat45. In diesem Zusammenhang 
muß nochmals darauf verwiesen werden, daß es sich bei Nassau-Saarbrücken um ein 
protestantisches Herrschaftsgebiet handelt, das zudem noch im Frühjahr 1728 eine 
kalvinistische Herrscherin aus dem Hause Nassau-Dillenburg für zwölf Jahre als 
vormundschaftliche Regentin erhielt und dadurch einen zusätzlichen Rationalisie¬ 
rungsschub erfuhr, der sich in einer wesentlich stärkeren Durchdringungs- und 
Zentralisierungspolitik niederschlug, als dies etwa bei katholischen Territorien der 
Fall war46. Auch von daher waren die Wege zwischen Fürst und Volk recht kurz und 
unvermittelt. Schließlich bleibt noch zu erwähnen, daß das Reichskammergericht in 
Wetzlar das oberste Appellationsgericht unseres reichsständischen Territoriums 
darstellte; denn die Fürsten von Nassau-Saarbrücken besaßen im Unterschied etwa zu 
den Kurfürsten von Trier oder den Herzogen von Pfalz-Zweibrücken kein 'privi¬ 
legium de non appellando'47. Nassau-Saarbrücken, das zum oberrheinischen Kreis 
gehörte und wegen seiner Grenzlage in ganz besonderer Weise auf das Reich ange¬ 
wiesen war, stützt damit einmal mehr die in der Revoltenforschung zunehmende 
Einsicht in die "Bedeutung der kleinterritorialen Welt als eigentliches Wirkungsfeld 
der Reichsverfassung, als Ort des 'reichischen' Deutschlands"48. Alles in allem bleibt 
festzuhalten, daß das Duodezfürstentum Nassau-Saarbrücken ideale Voraussetzungen 
besitzt, um anhand von Untertanenprotesten die 'strukturelle Reziprozität' bzw. den 
'Interaktionsprozeß' zwischen Obrigkeit und Untertanen unter dem Einfluß der 
Reichsverfassung zu untersuchen. 
Als Untersuchungszeitraum wurde sowohl aus landes- als auch aus allgemeinge¬ 
schichtlicher Perspektive das 18.Jahrhundert ausgewählt. Es ist ein Paradoxon der 
43 Vgl. Ruppersberg, Grafschaft II, S.247f. 
44 Vgl. zur Abtei Wadgassen: Tritz, Wadgassen; Trenz, Wadgassen. 
45 Vgl. dazu etwa Ulbrich, Tnberg oder Blickle, Ammergau. Wir werden diese Unterscheidung auch in 
vormundschaftlicher Zeit treffen, was allerdings mit der ganz spezifischen politischen Konstellation 
der nassau-usingischen Vormundschaft zusammenhängt und keinerlei 'verfassungsgeschichtliche' 
Bedeutung hat. 
46 Vgl. zu den konfessionellen Verhältnissen in Nassau-Saarbrücken: Bettinger, Konfessionsverhältnisse, 
S.202-220; Hertmann, Reformation, S.41-111; allgem. dazu Press, Calvinismus. Allgemein steht 
hinter diesem Gedanken stets die Protestantismus-These von Max Weber (Protestantische Ethik, in: 
Religionssoziologie). 
47 Vgl. Herrmann, Kleinstaat, S.291. 
4* Gabel, Widerstand, S.17 mit Verweis auf die Forschungsbeiträge von Press. 
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