Full text: Sozialer Besitzstand und gescheiterte Sozialpartnerschaft

rien infiziert sei. Die bisherige Bezahlung führe dazu, daß der Arzt in der Sozialpraxis 
gezwungen sei, seine Patienten gegen anerkannte wissenschaftliche Grundsätze zu 
behandeln.200 
Mit ihren Forderungen stießen die Ärzte auf eine breite Front der Ablehnung. Sie 
fanden weder bei Parteien noch bei der LVA Verständnis für ihre Klagen. Das Referat 
Sozialversicherung der Abteilung Arbeit hatte errechnet, daß sich das Einkommens¬ 
niveau der Kassenärzte in den Jahren 1946/47 etwas über dem von 1938 bewegte.20. 
Innerhalb der LVA und des Arbeitsministeriums sah man allerdings auch, daß sich die 
Einkommenssituation für die Ärzte ungünstig entwickelt hatte, wenn auch aus einem 
anderen Grund. Die seit dem 20. November 1947 im Saarland eingeführten Familien¬ 
zulagen, die im Sinne eines Familienlohnes wirkten, blieben bei der Berechnung des 
beitragspflichtigen Entgeltes zur Sozialversicherung unberücksichtigt, so daß sich in 
den Beiträgen nicht mehr das gesamte Einkommen der Versicherten widerspiegelte. 
Dies stand nach Ansicht des Ministeriums im Widerspruch zu einer Leitlinie, die bei 
der Berechnung der Kopfpauschale gegolten hatte, nämlich daß die Honorierung der 
Ärzte im Rahmen des Gesamtvolkseinkommens stehen müsse bzw. daß die Einkom¬ 
mensentwicklung des Kassenarztes im Rahmen des Einkommens der Versicherten 
bleiben müsse. Im übrigen verschlechterte sich die Situation nach Ansicht des Ministe¬ 
riums nicht so sehr wegen des Verlustes an Privatpatienten, sondern an deren geänder¬ 
tem Verhalten, Ärzte nur noch bei größeren Beschwerden aufzusuchen. Die Sozial¬ 
versicherungsreform habe zu einer Verlagerung geführt, freiwillig Versicherte müßten 
sich pflichtversichern. Die Zahl der Privatpatienten sei letztlich nicht entscheidend 
tangiert worden, da der größte Teil der Beamten und Selbständigen in Handel und 
Gewerbe mit ihren Familienangehörigen noch zum Personenkreis der Privatpatienten 
gehören würde.* 202 
Widerstand gegen Standesinteressen 
Die Strategie des Ministeriums für Arbeit und Wohlfahrt und der LVA bestand darin, 
den Ärzten eine höhere Kopfpauschale durch eine Veränderung des Umrechnungs¬ 
koeffizienten zuzubilligen. Ärzte und Zahnärzte forderten aber nach wie vor, die 
französische Honorierung auch im Saarland einzuführen. Der Vorsitzende der Ärzte¬ 
kammer kündigte die Abkommen, Verträge und Vereinbarungen, die zwischen der 
KVS und der LVA bestanden hatten, zum 31. März 1948 auf.203 
Ebd., Saarländisches Zahnärztesyndikat. "Das Honorar für zahnärztliche Behandlung von Kas¬ 
senpatienten' als Anlage zum Schreiben an den Minister für Arbeit und Wohlfahrt vom 3.3.49. 
1 Ebd., Bü.30, Anmerkungen zu der Denkschrift des Saarländischen Ärztesyndikats vom Juni 1948. 
202 Ebd., und Karl Ammann an Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt 11.2.48. 
203 Ebd., Bü.30, LVA, Alphonse Rieth an Richard Kirn vom 8.1.48. Dr. Brochowski, Vorsitz, der KVS, an 
VWK vom 15.12.47. 
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